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Petersburger Erzählungen: Fischer Klassik PLUS (German Edition)

Petersburger Erzählungen: Fischer Klassik PLUS (German Edition)

Titel: Petersburger Erzählungen: Fischer Klassik PLUS (German Edition)
Autoren: Nikolai Gogol
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die Nase, die sich noch gestern in seinem Gesicht befunden hatte und die weder fahren noch gehen konnte, eine Uniform trug! Er lief der Equipage nach, die glücklicherweise nicht weit fuhr und vor dem Kaufhause hielt.
    Er stürzte ins Kaufhaus und drängte sich durch die Reihe alter Bettelweiber mit verbundenen Gesichtern und zwei Löchern für die Augen, über die er sich früher so oft lustig gemacht hatte. Im Kaufhause waren nur wenig Leute. Kowaljow war so aufgeregt, daß er keinen Entschluß fassen konnte und nur nach jenem Herrn ausspähte; endlich sah er ihn vor einem Laden stehen. Die Nase hielt ihr Gesicht in dem hohen Stehkragen verborgen und betrachtete mit tiefem Interesse irgendwelche Waren.
    – Wie soll ich sie ansprechen? – dachte sich Kowaljow. – An allem, an der Uniform und dem Hut ist zu erkennen, daß sie im Range eines Staatsrates steht. Weiß der Teufel, wie man das macht! –
    Er fing an, zu hüsteln; die Nase verharrte aber in ihrer Stellung.
    »Mein Herr,« sagte Kowaljow, sich innerlich Mut zusprechend: »Mein Herr …«
    »Was wünschen Sie?« fragte die Nase, indem sie sich umdrehte.
    »Es erscheint mir so merkwürdig, mein Herr … ich denke … Sie sollten doch wissen, wo Sie hingehören. Plötzlich finde ich Sie, und wo? … Sie werden doch zugeben …«
    »Verzeihen Sie, ich kann unmöglich verstehen, wovon Sie sprechen … Fassen Sie sich bitte klarer.«
    – Wie soll ich es ihr klar machen? – dachte sich Kowaljow. Dann faßte er sich ein Herz und begann: »Ich kann natürlich … übrigens bin ich Major. Sie werden doch zugeben, daß es sich für mich nicht schickt, ohne Nase zu sein. Eine Händlerin, die auf der Woskressenskij-Brücke geschälte Orangen verkauft, kann sich noch ohne Nase behelfen; aber ich, der ich die Aussicht auf eine Anstellung habe … und außerdem in vielen Häusern verkehre und mit Damen bekannt bin: mit der Frau Staatsrat Tschechtarjowa und anderen … Urteilen Sie selbst … Ich weiß nicht, mein Herr (bei diesen Worten zuckte der Major Kowaljow die Achseln) … verzeihen Sie … wenn man es vom Standpunkte des Pflichtbewußtseins und des Ehrgefühls ansieht … Sie können es selbst verstehen …«
    »Ich verstehe gar nichts,« antwortete die Nase. »Fassen Sie sich klarer.«
    »Mein Herr,« sagte Kowaljow mit Würde, »ich weiß nicht, wie ich Ihre Worte auffassen soll … Die ganze Angelegenheit erscheint mir doch klar … oder Sie wollen nicht … Sie sind doch meine eigene Nase!«
    Die Nase sah den Major an und zog die Brauen zusammen.
    »Sie täuschen sich, mein Herr: ich lebe ganz für mich. Außerdem können zwischen uns keinerlei intime Beziehungen bestehen. Nach den Knöpfen Ihrer Uniform zu schließen, gehören Sie zu einem ganz anderen Ressort.« Mit diesen Worten wandte sich die Nase von ihm weg.
    Kowaljow war gänzlich verwirrt und wußte nicht, was er tun und sogar was er sich denken sollte. In diesem Augenblick hörte er das angenehme Rascheln eines Damenkleides: eine ältere Dame mit vielen Spitzen an der Toilette, näherte sich ihm, von einem jungen Mädchen gefolgt. Letztere trug ein weißes Kleid, das wunderschön auf ihrer schlanken Figur saß, und einen gelben Hut, so leicht wie ein Schaumkuchen. Hinter ihnen stand ein baumlanger Haiduck mit mächtigem Backenbart und einem ganzen Dutzend von Mantelkrägen.
    Kowaljow kam näher. Er zog den Kragen seines Batisthemdes hervor, ordnete die Petschaften an seiner goldenen Uhrkette und wandte seine Aufmerksamkeit der graziösen jungen Dame zu, die gebeugt wie eine Frühlingsblume, das weiße Händchen mit den durchscheinenden Fingern an die Stirne führte. Kowaljow lächelte noch heiterer, als er unter ihrem Hut ein rundliches, schneeweißes Kinn und einen Teil der in der Farbe der ersten Frühlingsrosen leuchtenden Wange gewahrte; aber plötzlich prallte er zurück, wie wenn er sich verbrannt hätte. Er erinnerte sich, daß er an Stelle der Nase absolut nichts mehr hatte, und Tränen entströmten seinen Augen. Er drehte sich um, um dem Herrn in der Uniform zu sagen, daß er sich bloß als Staatsrat verstelle, daß er ein Spitzbube und ein Schuft sei und nichts weiter als seine eigene Nase … Die Nase war aber schon verschwunden: sie hatte sich verflüchtigt, wahrscheinlich um noch einige Besuche zu machen.
    Dies versetzte Kowaljow in Verzweiflung. Er ging zurück und blieb eine Minute lang in der Säulenhalle stehen, gespannt nach allen Seiten blickend, ob er die
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