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Petersburger Erzählungen: Fischer Klassik PLUS (German Edition)

Petersburger Erzählungen: Fischer Klassik PLUS (German Edition)

Titel: Petersburger Erzählungen: Fischer Klassik PLUS (German Edition)
Autoren: Nikolai Gogol
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nicht gefüttert zu werden, er nimmt wenig Platz ein, findet in jeder Tasche Unterkunft und zerbricht nicht, wenn man ihn fallen läßt.«
    Der Polizeikommissär empfing Kowaljow ziemlich kühl und sagte, daß die Zeit nach dem Mittagessen für eine Untersuchung nicht geeignet sei; die Natur selbst hätte bestimmt, daß der Mensch nach dem Essen ausruhen müsse (der Kollegien-Assessor konnte daraus ersehen, daß dem Polizeikommissär die Aussprüche der Weisen des Altertums nicht unbekannt waren); einem ordentlichen Menschen werde aber niemand die Nase abbeißen.
    Er traf damit den wundesten Punkt. Es ist zu bemerken, daß Kowaljow außerordentlich empfindlich war. Alles, was man über ihn selbst sagte, konnte er noch verzeihen, er vergab aber nichts, was seinen Titel oder Dienstgrad verletzte. Er glaubte sogar, daß in den Theaterstücken alles erlaubt sei, was sich auf die Subaltern-Offiziere bezieht, die Stabsoffiziere dürfe man aber in keiner Weise antasten. Der Empfang durch den Polizeikommissär verwirrte ihn so, daß er den Kopf schüttelte, die Hände etwas spreizte und, im Bewußtsein seiner Würde, erklärte: »Offen gestanden, habe ich nach so beleidigenden Äußerungen nichts mehr zu sagen …« Und mit diesen Worten ging er.
    Er kam nach Hause, müde und abgespannt. Es dunkelte schon. So traurig und häßlich erschien ihm seine Wohnung nach all diesem vergeblichen Suchen. Als er ins Vorzimmer trat, erblickte er auf dem schmutzigen Ledersofa seinen Lakai Iwan; er lag auf dem Rücken und spuckte auf die Zimmerdecke, wobei er ziemlich geschickt immer die gleiche Stelle traf. Diese Gleichgültigkeit machte ihn rasend; er schlug ihn mit seinem Hute auf den Kopf und sagte: »Schwein, du machst immer Dummheiten!«
    Iwan sprang sofort auf und beeilte sich, ihm aus dem Mantel zu helfen.
    Der Major trat müde und traurig in sein Zimmer, ließ sich in einen Sessel sinken und sagte endlich, nachdem er einigemal geseufzt hatte:
    »Mein Gott! Mein Gott! Womit habe ich dieses Unglück verdient? Wenn mir ein Arm oder ein Bein fehlte, so wäre es immer noch besser; aber ohne die Nase ist der Mensch weiß der Teufel was: kein Vogel und kein Bürger, man möchte ihn einfach packen und zum Fenster hinauswerfen! Hätte man sie mir doch im Kriege abgeschnitten oder im Duell, oder hätte ich es selbst verschuldet; sie ist aber um nichts und wieder nichts verschwunden, ganz dumm! … Aber nein, es kann nicht sein,« fügte er nach einigem Nachdenken hinzu: »Es ist nicht wahrscheinlich, daß eine Nase verschwinden kann, es ist ganz unwahrscheinlich. Ich träume wohl, oder es kommt mir nur so vor; vielleicht habe ich aus Versehen statt Wasser den Branntwein getrunken, mit dem ich mir nach dem Rasieren das Kinn einreibe. Dieser dumme Iwan hat ihn nicht weggestellt, und so habe ich ihn wohl getrunken.« Um sich zu überzeugen, daß er nicht betrunken sei, kniff sich der Major so schmerzhaft ins Fleisch, daß er selbst aufschrie. Dieser Schmerz überzeugte ihn vollkommen davon, daß er im Wachen handle und lebe. Er trat vorsichtig vor den Spiegel und machte erst die Augen zu in der Hoffnung, daß die Nase vielleicht doch noch auf ihrem Platze erscheinen werde; aber im gleichen Augenblick taumelte er zurück und sagte: »So eine Karikatur!«
    Es war einfach unbegreiflich. Wenn ihm doch ein Knopf, ein silberner Löffel, eine Uhr oder etwas ähnliches abhanden gekommen wäre, – aber so etwas und das in seiner eigenen Wohnung! … Der Major Kowaljow zog alle Umstände in Betracht und kam zum Schluß, das Wahrscheinlichste sei, daß die Frau Stabsoffizier Podtotschina, die ihn gerne zum Schwiegersohn haben wollte, die Schuld am Unglück trage. Er selbst machte wohl dieser Tochter gerne den Hof, vermied aber die Konsequenzen. Als die Frau Stabsoffizier ihm unumwunden erklärte, daß sie ihre Tochter mit ihm verheiraten wolle, zog er sich mit seinen Komplimenten vorsichtig zurück, unter der Behauptung, daß er zu jung sei und noch an die fünf Jahre dienen müsse, um genau zweiundvierzig Jahre alt zu werden. Darum hatte sich die Frau Stabsoffizier wohl aus Rachedurst entschlossen, sein Äußeres zu verunstalten, und dies irgendeiner alten Hexe bestellt; es war ja auf keine Weise anzunehmen, daß die Nase einfach abgeschnitten worden sei: niemand war in seinem Zimmer gewesen, und der Barbier Iwan Jakowlewitsch hatte ihn schon am Mittwoch rasiert; die Nase war aber am Mittwoch und sogar Donnerstag noch da – das wußte er sehr
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