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Petersburger Erzählungen: Fischer Klassik PLUS (German Edition)

Petersburger Erzählungen: Fischer Klassik PLUS (German Edition)

Titel: Petersburger Erzählungen: Fischer Klassik PLUS (German Edition)
Autoren: Nikolai Gogol
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Kollegien-Assessor sagt, so werden es alle Kollegien-Assessoren von Riga bis Kamtschatka unbedingt auf sich beziehen; ebenso ist es auch mit allen andern Titeln und Graden. Kowaljow war ein kaukasischer Kollegien-Assessor. Er bekleidete diesen Rang erst seit zwei Jahren und mußte daher immer daran denken; um sich noch mehr Ansehen und Gewicht zu verleihen, nannte er sich niemals einfach Kollegien-Assessor, sondern stets Major. »Hör mal, meine Liebe,« sagte er zu einem Weibe, das auf der Straße Vorhemden feilbot: »Komm zu mir in die Wohnung; ich wohne in der Ssadowaja-Straße, und frage bloß nach dem Major Kowaljow – ein jeder wird es dir zeigen.« Begegnete er aber einer jungen Schönen, so gab er ihr außerdem einen geheimen Auftrag und fügte hinzu: »Frag nur nach der Wohnung des Majors Kowaljow, mein Kind!« Aus diesem Grunde wollen auch wir den Kollegien-Assessor in Zukunft Major nennen.
    Der Major Kowaljow pflegte jeden Tag auf dem Newskij-Prospekt spazieren zu gehen. Sein Hemdkragen war stets außerordentlich sauber und sorgfältig gestärkt. Sein Backenbart war von jener Art, wie ihn auch jetzt noch die Gouvernements- und Kreislandmesser, die Architekten und Regimentsärzte, auch die Beamten für verschiedene Aufträge tragen, überhaupt alle Männer, die volle und rote Wangen haben und sehr gut Boston spielen: dieser Backenbart geht mitten durch die Wange und reicht bis zu der Nase. Der Major Kowaljow trug an seiner Uhrkette eine Menge von Petschaften aus Karneol, die teils Wappen und teils Inschriften trugen, wie »Mittwoch«, »Donnerstag«, »Montag« usw. Der Major Kowaljow war nach Petersburg in Geschäften gekommen, und zwar, um eine seinem Grade entsprechende Stellung zu suchen: womöglich das Amt eines Vize-Gouverneurs, sonst aber das eines Exekutors an irgendeinem angesehenen Departement. Der Major Kowaljow war auch gar nicht abgeneigt zu heiraten, aber nur in dem Falle, wenn die Braut zweihunderttausend Rubel mitbekäme. Nun kann der Leser selbst urteilen, wie es diesem Major zumute war, als er statt seiner recht hübschen und mäßig großen Nase eine ganz dumme, glatte Fläche gewahrte.
    Zum Unglück ließ sich keine einzige Droschke auf der Straße blicken, und so mußte er zu Fuß gehen, in seinen Mantel gehüllt, das Gesicht mit dem Taschentuch verdeckt, als ob er Nasenbluten hätte. – Vielleicht ist es mir nur so vorgekommen: es kann ja nicht sein, daß die Nase so dumm verschwindet – dachte er sich und trat in eine Konditorei, um einen Blick in den Spiegel zu werfen. Glücklicherweise waren in der Konditorei keine Besucher; die Kellner kehrten die Stuben und stellten die Stühle auf; andere, mit verschlafenen Augen, trugen heiße Pasteten herein; auf den Tischen und Stühlen lagen die mit Kaffee begossenen Zeitungen vom gestrigen Tage. »Gott sei Dank, es ist niemand da,« sagte er, »nun kann ich in den Spiegel schauen.« Er ging ängstlich zum Spiegel und blickte hinein. »Teufel, so eine Gemeinheit!« sagte er und spie aus. »Wenn doch an Stelle der Nase wenigstens etwas anderes wäre, aber so nichts, gar nichts! …«
    Er biß die Zähne verdrießlich zusammen und trat aus der Konditorei auf die Straße, entschlossen, entgegen seiner Gepflogenheit niemand anzusehen und niemand zuzulächeln. Plötzlich blieb er wie angewurzelt vor der Einfahrt eines Hauses stehen; vor seinen Augen geschah etwas Unfaßbares: vor der Einfahrt hielt eine Equipage, der Schlag wurde geöffnet, ein Herr in Uniform sprang gebückt aus dem Wagen und eilte die Treppe hinauf. Wie groß war der Schreck und zugleich das Erstaunen Kowaljows, als er in ihm seine eigene Nase erkannte! Bei diesem ungewöhnlichen Anblick drehte sich alles vor seinen Augen um; er fühlte, daß er kaum noch stehen könne; aber er entschloß sich, koste es was es wolle, zu warten, bis jener wieder in die Equipage steigen würde; dabei bebte er am ganzen Leibe wie im Fieber. Nach zwei Minuten trat die Nase wieder aus dem Hause. Sie trug eine goldgestickte Uniform mit hohem Stehkragen, Beinkleider aus Sämischleder und einen Degen an der Seite. An dem Hut mit dem Federbusch konnte man ersehen, daß sie im Range eines Staatsrates stand. Alles wies darauf hin, daß sie gerade Besuche machte. Sie sah nach rechts und nach links, rief dem Kutscher: »Fahr zu!«, stieg ein und fuhr davon.
    Der arme Kowaljow war beinahe von Sinnen. Er wußte nicht, was er von einem so seltsamen Ereignis denken sollte. Wie war es bloß möglich, daß
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