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Perlentöchter

Perlentöchter

Titel: Perlentöchter
Autoren: J Corry
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die Perlen neu aufgefädelt werden.
    »Halt still!«, schrie Simon.
    Sie bekam nun fast keine Luft mehr. Die Perlen waren wie eine seidene Schlinge, die den letzten Atem aus ihr herauspresste. Bilder, seltsame Bilder, flackerten vor ihr auf. Eine Braut auf ihrem Bett. Warum? Ein alter Mann mit einer Staffelei. Ein junges Mädchen mit einem Globus. Ein Mann in einem Krankenhausbett, flankiert von einem schmucken Soldaten in Uniform auf der einen Seite und einer hübschen jungen Frau auf der anderen. Ein Schiff. Ein Haus auf Pfählen. Eine kleine dunkelhäutige Frau, die mit ihren Perlen weglief. Ein älterer Mann, der die hübsche junge Frau neben dem Bett küsste, obwohl sie jetzt älter aussah. Ein junges Mädchen, das weinend auf das Porträt eines kleinen Mädchens in einem weißen Kleid starrte am Fußende des Betts. Dasselbe junge Mädchen in einem Schlafsaal, ähnlich wie jener in dem Wocheninternat, das Scarlet sich ausgesucht hatte. Eine junge Frau mit ängstlichem Gesicht auf einem Standesamt. Eine alte Frau, die sich im Bett aufsetzte und um ein Baby weinte.
    Und dann plötzlich stand ein kleiner brauner Junge neben ihr und gab ihr ein Zeichen, ihm zu folgen. Irgendwie bewegte sie sich nun, weg von den Perlen, die ihren Hals strangulierten, als würde sie aus ihrer Haut heraustreten und auf sich selbst zurückblicken wie bei einer außerkörperlichen Erfahrung.
    Sie sah den gequälten Ausdruck in ihrem Gesicht, Simons verzweifelten Blick, während er versuchte, sie zu befreien. Aber nun änderte sich das Bild, und stattdessen stand sie vor einem Bett, in dem eine schöne junge Frau mit einer wallenden roten Mähne und in einem weißen Nachthemd saß, die sich in einen weißen Kissenberg lehnte und eine Perlenreihe betrachtete. Ihre Perlen, wie Caroline bewusst wurde. Und die junge Frau hatte große Ähnlichkeit mit ihrer Urgroßmutter Louisa auf dem Familienporträt.
    »Man hat mir von ihnen erzählt.« Die Stimme war ein mädchenhafter Singsang. »Es heißt, sie sollen verflucht sein, weißt du? Sie waren ein Geschenk für die Tante meiner Schwiegermutter von ihrem Verlobten, der sie kurz vor der Hochzeit sitzen gelassen hat.«
    Die schönen Augen der jungen Frau sahen auf und hefteten sich auf Caroline. »Sie hat geschworen, oder zumindest wird das so erzählt, nie wieder ein Wort zu sprechen. ›Von der Liebe enttäuscht‹, nannte man das. Und sie hat geschworen, dass die Perlen jedem Unglück bringen sollen, der sie trägt.«
    Sie hielt sie bewundernd ins Licht. »Sie sind wunderschön, nicht wahr? Natürlich gebe ich nichts auf solche Geschichten. Genauso wenig wie James’ Mutter, die die Perlen von ihrer Schwester geerbt hat. Niemand glaubt daran. Und selbst wenn ich es glauben würde, könnte ich mich ihnen nicht verweigern, so wie ich mich auch James nicht verweigern konnte.«
    Sie lachte, aber ihr Lachen klang nicht sehr mädchenhaft – es hatte einen bitteren Unterton. »Ich hatte keine Wahl, verstehst du? Keine von uns hatte das damals.«
    Caroline versuchte nun, die Lippen zu bewegen. »Ich schon«, wollte sie sagen. »Ich habe eine Wahl.«
    Aber die junge Frau in dem Bett verblasste, und der braune Junge entfernte sich, verschmolz mit dem Rot der Klippen. Plötzlich spürte sie, dass sie so schnell fiel, dass es ihr vorkam, als hätte jemand ein Ventil in ihrer Brust geöffnet.
    »Stopp!«, versuchte sie zu schreien. »Stopp!«
    Und danach wurde alles schwarz.

Daily Globe
    Aktuelle Schlagzeilen
12. Juli 1997
    Simon Sweeting, Redakteur unserer Zeitung, starb gestern bei einem außergewöhnlichen Unfall.
    Die Polizei geht davon aus, dass Sweeting bei dem Versuch, seiner Frau das Leben zu retten, eine Klippe hinabstürzte.

Fünf Jahre später

The Windsea Herald
    12. November 2002
    Eine an den Strand gespülte Perlenkette ist von einem Finder abgegeben worden. Wer dazu nähere Angaben machen kann, möchte sich bitte bei der Polizei melden.

47
    »Die Leute werden Schlange stehen, und jeder wird behaupten, dass die Perlen ihm gehören!«, bemerkte Scarlet verächtlich, die am Wochenende Zeit für einen Besuch hatte, was selten genug vorkam, nachdem sie erst vor kurzem bei ihrer Zeitschrift zur stellvertretenden Moderedakteurin ernannt worden war.
    Mit zweiundzwanzig war Scarlet eine richtige Schönheit in der Art, wie Caroline es immer gern gewesen wäre. Sie hatte eine kastanienbraune Mähne (genau wie ihre Urgroßmutter Rose auf dem Porträt), einen Porzellanteint und leuchtend blaue Augen,
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