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Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition)

Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition)

Titel: Pergamentum – Im Banne der Prophetin: Roman (German Edition)
Autoren: Heike Koschyk
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Burg, an diesem Bruder der edelmütigen Elysa.
    Unfassbar, zwei derart ungleiche Kinder vom selben Samen, eines ehrenwert und tüchtig, das andere verderbt und voller Starrsinn und Gier. Doch es war nicht Magnus’ offensichtliche Selbstüberschätzung, die Clemens argwöhnisch gemacht hatte.
    Noch bevor er im Licht der Funzel das Bauernhaus erblickte, wusste er plötzlich, was ihn irritiert hatte: Magnus von Bergheim war erstaunt gewesen, als er seine Schwester erblickte. Er hätte sie erwarten müssen, aber offensichtlich dachte er, sie komme nicht.
    Und noch etwas erregte sein Misstrauen. Elysa war im Habit der Benediktinerinnen gekommen. Hätte ihr Bruder sie nicht als Nonne ansehen müssen, sich fragen, ob sie bei ihrem Aufenthalt die Jungfrauenkrone erhielt? Nein, er nahm es als ein gewöhnliches Gewand, so als wisse er bereits, dass sie nicht ihre Profess abgelegt hatte.
    Clemens blieb stehen, in plötzlicher Erkenntnis. Es konnte nur eines bedeuten: Magnus von Bergheim war im Bilde. Er hatte gedacht,Elysa wäre im Glockenturm verbrannt, daher sein Erstaunen. Und auch, als er sich in seiner Überraschung fing und sie begrüßte, galt kein Wort ihrer Kleidung, weil er bereits erfahren hatte, dass sie es unter falschem Anliegen trug.
    Der Einzige aber, der ihn in Kenntnis gesetzt haben konnte, war Radulf von Braunshorn, den Clemens in rasender Hast und mit wehender cappa in den Wald hatte preschen sehen, als die Glocken von Eibingen geläutet hatten – in jenen Wald, dessen Pfade oberhalb des Kaufmannsweges auch zur Burg Bergheim führten.
    Plötzlich begriff Clemens, dass auch Magnus Teil der Verschwörung gewesen war, und im selben Augenblick vermochte er jene Position zu erkennen, die man Elysas Bruder, dem erbarmungslosen Herren einer abgeschiedenen Burg, zugedacht hatte: Er war der Folterknecht.

17
    E lysa betrat die Kammer, die Magnus ihr zugewiesen hatte und die sie als sein ehemaliges Gemach erkannte. Nun standen darin eine Truhe und eine Pritsche mit Stroh.
    Der modrige Geruch, der die ganze Burg durchdrang, hing auch in diesem Raum. Nach Atem ringend stürzte sie zur Fensteröffnung und riss den Holzladen auf.
    Der Mönch musste Magnus den Rubin entrissen haben, doch was konnte es anderes bedeuten, als dass sie sich begegnet waren. Je länger Elysa über diese Zusammenhänge nachdachte, desto offenbarer wurde, was in der Zeit nach dem Hildegardisfest geschehen war. Ja, ihr Bruder wäre gewiss imstande, einem Mönch Gewalt anzutun, um ihm ein kostbares Geheimnis zu entlocken.
    Die Furcht in ihrem Herzen wandelte sich in Panik, die sie nur mühsam zu beherrschen vermochte.
    »Mutter, hilf«, flüsterte sie in die Dunkelheit der Nacht, während sie beide Hände an die Brust presste.
    Sie dachte an das Schicksal, das ihrer Mutter zuteil geworden war, an das erregte Gesicht des Bruders, als er den Priester anfeuerte, die Dämonen aus ihr herauszuprügeln.
    Rasch sann sie über ihre Möglichkeiten nach, die Burg augenblicklich zu verlassen. Sie kannte den Mechanismus, der die Zugbrücke herabließ, aber es wäre zu laut, würde ihren Bruder augenblicklich warnen. Irgendwo musste es auch einen Geheimganggeben, der den Bewohnern in Zeiten des Kampfes die Flucht ermöglichte, doch sie konnte weder sagen, wo er begann, noch wohin er führte.
    Nein, sie musste die Nacht überstehen, demütig sein, jeden Streit vermeiden. Noch war Magnus ihr zugetan, gedachte, sie als Statthalterin während seines Zugs ins Heilige Land einzusetzen. Sie würde sich seinem Wunsch entsprechend kleiden und sich als treue Schwester erweisen, zurückgekehrt in den Schoß der Familie.
    Heftig atmend öffnete sie die Truhe. Was sie dort sah, ließ sie jegliche Fassung verlieren. Es waren Kleider, die ihre Mutter getragen hatte. Kostbare Stoffe, Zeugnisse vergangener Pracht. Elysa riss sie heraus, jedes einzelne hatte sich tief in ihre Erinnerung eingegraben, löste Tränen der Trauer in ihr. Weinend hielt sie ihre Nase in Leinen und Seide, fein gewebten Wollstoff und Brokat, atmete den Duft ein, doch die Gewänder rochen nicht nach ihrer Mutter, sondern nach modrigem Tuch.
    Hatte sie im Stillen gehofft, mit der Rückkehr zur Burg auch der Toten gedenken zu können, so musste sie nun erkennen, dass man deren Andenken achtlos in eine Truhe gesteckt hatte, das Grab war verwildert, der Baum zu dessen Füßen gefällt.
    Von plötzlicher Wut ergriffen, wählte sie ein leuchtend purpurnes Gewand aus zweifach gefärbter Muschelseide. Jenes
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