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Performer, Styler, Egoisten

Performer, Styler, Egoisten

Titel: Performer, Styler, Egoisten
Autoren: Bernhard Heinzelmaier
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hier geht es wohl darum, eine neue Synthese zwischen dem Handeln in der gesellschaftlichen Wirklichkeit und der Kommunikation in den virtuellen Welten des Internets zu finden. Das moralisierende Setzen von Zeichen der Bekenntnis auf facebook ist zu wenig, um es als relevantes Handeln mit moralbildenden Auswirkungen auf Individuen und Gesellschaft qualifizieren zu können.
    Neben der Notwendigkeit des aktiven Handelns in sozialen Kontexten verweist der deutsche Soziologe Hans Joas auch auf die Wichtigkeit der Erfahrung von Selbstbildung und Selbsttranszendenz für die Wertebildung (Joas 1998: 252ff). Der Begriff der Selbsttranszendenz meint die Fähigkeit, über den engen Horizont der eigenen persönlichen Wünsche und Interessen hinauszudenken, und das Vermögen, die Grenzen des Egos in der Hingabe an eine gesellschaftliche Aufgabe oder andere Menschen handelnd zu überwinden. Die Fähigkeit zur Selbsttranszendenz ist von Lernerfahrungen abhängig, die nur dem aktiv in Verantwortungsrollen handelnden Menschen offen stehen.
    Der Begriff der Selbstbildung setzt ein offenes, mit Freiräumen ausgestattetes Bildungssystem voraus, in dem jungen Menschen die Möglichkeit gegeben wird, sich die soziale Welt und die Diskurse über sie im Zuge eigenständiger, freier Reflexion anzueignen, welches zudem auch zeitliche Ressourcen zur Verfügung stellt, die es erlauben, Verantwortungsrollen an- und einzunehmen. Im Zusammenhang mit diesen Überlegungen kommt der Verdacht auf, dass das durch die Bologna-Reform durch und durch verregelte und verschulte Bildungssystem die ethische und moralische Bildung der Menschen mehr blockiert, als dass es sie fördert.
    Tugenden müssen gelebt werden, sonst verbreiten sie sich nicht und erlangen keine Relevanz für das menschliche Handeln. Die Aneignung und Vermittlung von Werten, die erfolgreiche Synthetisierung konkurrierender Werte erfordert Zeit und Raum. Nur wer über zeitliche und räumliche Freiheiten verfügt, der kann sich in Verantwortungsrollen aktiv handelnd jene ethischen Werte und Prinzipien aneignen, deren Fehlen die Fälle Grasser, Strasser und Hochegger erst möglich gemacht hat.
    Es geht um mehr, als jungen Menschen in Bildungsfabriken Sekundärtugenden und formalisiertes Wissen einzupauken. Es geht um ein anderes Verständnis von Bildung, das sein wichtigstes Ziel nicht nur in der Vermittlung von funktionalem, berufsrelevantem Wissen sieht, und um eine Politik, die signalisiert, dass es ihr mit ihren Partizipationsangeboten wirklich ernst ist. Durch eine total verzweckte, durch und durch formalisierte Bildung, das Eintrainieren von ethisch neutralen Sekundärtugenden, politische Pseudopartizipation und moralisierende Sonn- und Feiertagsreden wird die moralische Krise, in der sich unsere Gesellschaft ohne Zweifel befindet, wohl kaum überwunden werden können.

Marketing in einer juvenilen Kultur
    Über die Notwendigkeit der Verallgemeinerung jugendkultureller Kommunikationsstile
    Die kulturelle Macht der Jugend
    Seit Jahren mehren sich empirische Befunde, die darauf hindeuten, dass die Jugendphase sich ausdehnt (vgl. Ferchhoff 2007: 87). Sie beginnt immer früher und endet immer später. Die kommerziellen Jugendkulturen und das Jugendmarketing erfassen heute bereits große Teile der unter Zehnjährigen. Nicht zuletzt dies führt zu einem frühzeitigen Aufbrechen des Schutz- und Schonraums der Kinderkulturen, in denen noch an Feen, Riesen, Zauberer und den Weihnachtsmann geglaubt werden durfte. An die Stelle von Fabelwesen und Märchengestalten sind Actionhelden, Popstars und Spitzensportler getreten. Immer früher hängen Poster, auf denen die ephemeren Stars des kulturindustriellen Komplexes abgebildet sind, in den Zimmern unserer Nachkommenschaft. Immer früher werden Kinderzimmer zu Jugendzimmern.
    Das frühzeitige Verschwinden der Kindheit (vgl. Postman 2009) geht wohl ohne Zweifel in erster Linie auf das Konto einer medial vermittelten Popkultur. Wenn in den Ferienclubs in der Kinderdisco am Nachmittag weitgehend zur selben Musik getanzt wird wie am Abend in der Erwachsenendisco, dann wird deutlich, dass es der Kulturindustrie offenbar gelungen ist, große Teile der Kinderpopulation in KonsumentInnen von Popkultur zu verwandeln. Ein mediales Phänomen, dass ein Beleg für die zunehmende Kolonialisierung der Kinderkulturen durch die kommerzielle Popkultur ist, sind die immer häufiger in Castingshows wie dem „Supertalent“ in Deutschland oder „Die große Chance“ in
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