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Pellkartoffeln und Popcorn

Pellkartoffeln und Popcorn

Titel: Pellkartoffeln und Popcorn
Autoren: Evelyn Sanders
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Augen rutschte. Unsere Requisiten waren bescheiden; unsere magischen Fähigkeiten ebenfalls. So hatten wir in eine leere Weinflasche einen Zweig gestopft, der unter Einwirkung von geheimnisvollen Beschwörungen aus dem Flaschenhals wachsen sollte. Bewerkstelligt wurde dieses Naturwunder durch einen schwarzen Faden, den wir an den Zweig gebunden und aus der Flasche herausgeführt hatten. Gerda sollte nun im Laufe ihrer Beschwörung die Flasche reiben und dabei an dem Faden ziehen. Bei den Proben hatte das jedesmal hingehauen, während der Vorstellung klappte es nie. Entweder riß der Faden ab und der Zweig fiel auf den Flaschenboden oder der Faden rutschte gleich in die Flasche hinein. Dann wieder verklemmte sich der Zweig, oder der Faden war außen an der Flasche festgeklebt. Wir ernteten jedesmal Heiterkeitserfolge, weil unsere dankbaren Zuschauer glaubten, das alles müsse so sein.
    Die nächste Nummer bestritt Lilo. Sie imitierte eine Seiltänzerin und balancierte mit todernster Miene und violettem Regenschirm über einen Kreidestrich. Dann gab es noch eine Tierdressur mit nicht vorhandenen Flöhen und eine Pantomime.
    Die Hauptattraktion kam zum Schluß des Programms, und das war Axel Biegert. Der Knabe besaß das seltene Talent, jede beliebige Person parodieren zu können; und so hatten wir ihn gebeten, seine Begabung in den Dienst der guten Sache zu stellen. Zunächst lehnte er energisch ab (»Ich mische doch in diesem Weiberzirkus nicht mit!«). Nach drei Tagen hatten wir ihn weichgekocht. Er legte eine so umwerfende Chaplin-Parodie hin, die allein schon das Eintrittsgeld gerechtfertigt hätte.
    Ursprünglich hatten wir zwei, höchstens drei Auftritte vorgesehen, keinesfalls neun! Der zehnte mußte wegen beginnender Dunkelheit abgebrochen werden. Die dreißig Stühle warfen wir schon nach der zweiten Vorstellung hinaus, auf diese Weise bekamen wir Platz für doppelt so viele Zuschauer – das Stehen waren sie ja sowieso gewöhnt. Im Vorzelt, Garderobe und Requisite in einem, traten sich die Helfer gegenseitig auf die Füße, fuchtelten mit Sicherheitsnadeln und Farbkästen herum, und alle zehn Minuten schoß Quasi durch das Getümmel und verkündete den jeweiligen Stand der Einnahmen. Zwischendurch versorgte sie die erschöpften Künstler mit Apfelsaft, den sie weiß Gott wo aufgetrieben und vermutlich aus eigener Tasche bezahlt hatte. Uns blieb kaum Zeit zum Luftschnappen, und von den übrigen Attraktionen des Schulfestes haben wir überhaupt nichts mitgekriegt. Dafür war der Reinerlös aus unserem ›Haus der 1000 Überraschungen‹ höher als der aller anderen Klassen zusammen, was Frau Rothe bei der feierlichen Entgegennahme des wiederauferstandenen Bechstein-Flügels auch gebührend würdigte.
    Bereits vier Tage später bekam ich wegen dieses verflixten Flügels die einzige und amtlicherseits schon längst verbotene Ohrfeige in meiner Pennälerlaufbahn. Wir hatten uns vor Beginn der Musikstunde ehrfurchtsvoll um das Instrument geschart, vorsichtig ein paar Tasten angeschlagen und schließlich nicht widerstehen können. Mariele versuchte sich an der Glenn-Miller-Serenade, aber sie mißlang kläglich, also machte sie Irene Platz, die dann Variationen über den Flohwalzer spielte. Ha, den konnte ich nun auch noch! Zuletzt hämmerten wir vierhändig auf den Tasten herum, verhotteten die Melodie nach bestem Können, überhörten Klingelzeichen und Türenschlagen und schreckten erst auf, als Frau Fuchs wie ein Racheengel durch die Phalanx der Schüler brach und losbrüllte: »Wollt ihr wohl mit euren Schmalzfingern von dem Flügel runter!« Irene ging geistesgegenwärtig in Deckung, und so blieb die Ohrfeige an mir kleben!
    Wir tobten unsere schauspielerischen Ambitionen jedoch nicht nur in der Schule aus. Inzwischen pilgerten wir einmal wöchentlich zum Konfirmandenunterricht; und im November eröffnete uns Pfarrer Hofmann, daß er mit seinen Schäfchen jedes Jahr ein Krippenspiel einzustudieren pflegt. Es sei vorwiegend für seine jüngsten Gemeindemitglieder gedacht, die er auf diese Weise für den regelmäßigen Besuch des Kindergottesdienstes belohnen wollte.
    Bitte sehr, warum nicht?
    Zu einem Krippenspiel gehören Engel, auch wenn sie in der biblischen Urfassung nicht so zahlreich und ganz bestimmt nicht in weißen Nachthemden und mit Pappflügelchen auftreten. Alle, die nicht gerade eine tragende Rolle spielten, wurden Engel oder Hirten. Am Tag der Aufführung war es lausig kalt, und wenn auch der
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