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Payback

Titel: Payback
Autoren: Frank Schirrmacher
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über eine Fabrik der Gedanken. Im Internet mag es viele Dummheiten geben, aber es wetteifern dort auch außerordentliche Intelligenzen miteinander - nicht nur in Texten, sondern vor allem und in erster Linie in den unsichtbaren Computercodes, die uns leiten. Hinter ihnen stecken die wahren Programmdirektoren unseres Lebens. Darunter sind ein paar der klügsten Menschen der Welt.
    Kein Mensch kann mehr daran zweifeln, dass wir in eine neue Ära eingetreten sind, aber die Zweifel, wohin sie uns führt, wachsen täglich.
    Das Gefühl von Vergesslichkeit und Vergeblichkeit steht nicht im Widerspruch zu den gigantischen Datenmengen, die täglich gespeichert werden, sondern ist deren Resultat. Nichts mehr, das verweht, und keine Frage, die nicht ohne Antwort bliebe. Nach einer Berechnung der Universität Berkeley wurden im Jahre 2003 auf allen bekannten Datenträgern, von Print bis Internet, 5 Exabyte
neuer
Informationen gespeichert. Die unvorstellbare Zahl entspricht allen jemals von Menschen auf der Erde gesprochenen Worten. 5 Die jüngste Studie, die 2010 publiziert werden soll, wird eine weitere Informationsexplosion verzeichnen. Jede dieser Informationen muss von irgendjemanden produziert und gesendet und von einem anderen gelesen und gespeichert worden sein. Darunter gibt es unendlich viel Trash, aber, da nun jeder am großen Text der Welt mitschreibt, auch unzählige Gedanken und Erkenntnisse, die nach unserem bisherigen Verständnis von Intelligenz jedermann angehen und interessieren müssten. »Es gibt nicht mehr genügend Hirne, die die Bevölkerungsexplosion der Ideen beherbergen könnte«, schreibt resigniert der Philosoph Daniel Dennett. 6
    Informationen fressen Aufmerksamkeit, sie ist ihre Nahrung.
    Aber es gibt nicht genügend Aufmerksamkeit für alle die neuen Informationen, nicht einmal mehr in unserem eigenen persönlichen Leben. Wenn Bevölkerungsexplosionen mit Nahrungsmangel zusammentreffen, entstehen darwinistische Verteilungskämpfe, Arten sterben aus, andere überleben, das wissen wir, weil Charles Darwin die Bevölkerungstheorien von Thomas Malthus gelesen hat und dadurch erst seine Evolutionstheorie entwickeln konnte. Unsere Köpfe sind die Plattformen eines Überlebenskampfes von Informationen, Ideen und Gedanken geworden, und je stärker wir unsere eigenen Gedanken in das Netz einspeisen, desto stärker werden wir selbst in diesen Kampf mit einbezogen. Er hat jetzt erst Verlage und Zeitungen, Fernsehen und die Musikindustrie getroffen.
    Aber man mache sich nichts vor. Der darwinistische Überlebenskampf ist im Begriff, auf das Leben des Einzelnen überzugreifen, auf seine Kommunikation mit anderen, sein Erinnerungsvermögen, das der größte Feind neuer Informationen ist, auf sein soziales Leben, auf seine Berufs- und Lebenskarriere, die längst Bestandteil des digitalen Universums geworden ist.
    Die drei Ideologien, die das Leben der Menschen in den letzten zwei Jahrhunderten bis heute am nachhaltigsten verändert haben, waren Taylorismus - also die »Arbeitsoptimierung« gesteuert durch die Stoppuhr und den Zwang zur äußersten Effizienz -, Marxismus und Darwinismus. Alle drei Weltbilder fin-den im digitalen Zeitalter in einer »personalisierten« Form, nicht als Ideologie, sondern als Lebenspraxis, zusammen. Der Taylorismus in Gestalt des Multitaskings, der Marxismus in Gestalt kostenloser Informationen, aber auch selbstausbeutende Mikroarbeit im Internet, die vor allem Google zugute kommt, und der Darwinismus in Gestalt des Vorteils für denjenigen, der als Erster die entscheidende Information hat.
    Dieses Buch will zeigen, wie die Informationsexplosion unser Gedächtnis, unsere Aufmerksamkeit und unsere geistigen Fähigkeiten verändert, wie unser Gehirn physisch verändert wird, vergleichbar nur den Muskel- und Körperveränderungen der Menschen im Zeitalter der industriellen Revolution. Kein Mensch kann sich diesem Wandel entziehen. Aber das sind nur Vorbereitungen auf einen ungleich größeren Wandel. Er umfasst weit mehr als Kommunikation mit Handys und Computern, mehr als Multitasking und Schwarmintelligenz; er bezeichnet eine Zeitenwende, die nach dem Wissenschaftshistoriker George Dyson dadurch gekennzeichnet sein wird, dass in ihr eine neue Art von Intelligenz geweckt wird. Was wir im Augenblick als geistige Überforderung mit den neuen Technologien bei gleichzeitiger körperlicher Lust an ihnen erleben, sind nur die physischen Schmerzen, die uns die Anpassung an diese neue
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