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Paul Bremer - 07 - Schrei nach Stille

Paul Bremer - 07 - Schrei nach Stille

Titel: Paul Bremer - 07 - Schrei nach Stille
Autoren: Anne Chaplet
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ihr Gedächtnis eingebrochen war, was sie verdrängt hatte.
    Sollte er die Sache auf sich beruhen lassen? Ohne die Leiche Alexandra Raabes gefunden zu haben?
    Ein Polizist muß einen Fall abschließen, hörte DeLange seinen alten Lehrer Ernst Zobel sagen. Die Toten müssen begraben werden.
    Richtig, dachte DeLange. Aber erst muß ich Feli zu Grabe tragen. Und alles, was damit zusammenhängt.
    Die Mädchen waren im Bett, als er nach Hause kam. Karen saß allein am Küchentisch. Er weinte nicht, aber ihm war danach. Nicht wegen Feli, jedenfalls nicht ihretwegen allein, sondern wegen Flo und Caro und Sophie Winter und der Unfähigkeit der Menschen, sich in Frieden zu lieben.
    Nach zwei Stunden und einer Flasche Wein und vielen Fragen stellte er noch eine letzte.
    »Ist dir klar, worauf du dich einläßt?«
    Sie zögert. Hoffentlich sagt sie nein.
    »Nein.«
    Gott sei Dank.
    »Aber ich würde es gern herausfinden.«

17
    Wilhelms Beerdigung war nicht nur würdig, nein, sie war ganz großes Theater. Fast eine Stunde lang zog eine Schlange dunkelgekleideter Menschen von der Kirche zum Friedhof. Alle redeten aufeinander ein – die weiter entfernt lebenden Anverwandten der großen dörflichen Familie mußten schließlich auf den neuesten Stand gebracht werden. Bremer lehnte vor seinem Haus am Gartentor und ließ den dunklen Zug passieren, winkte, wenn er jemanden kannte, und umarmte, wen er lange nicht gesehen hatte. Die Prozession und das unaufhörliche Gemurmel zeigten das soziale Netz Klein-Roda in Aktion: Die Erzählung wurde fortgeschrieben, die große Erzählung, in der Leute wie er höchstens eine Fußnote waren. Er schloß sich dem Zug an.
    Nach der Beisetzung, während der die Tränen flossen, wurde in Gottfrieds Hof unter der Linde gefeiert. Es war ein wunderschöner Tag, gerade richtig für den Frühling: nicht zu warm, nicht zu kalt. Und natürlich sprach niemand über die Klimakatastrophe.
    Dafür demonstrierten die Nachbarn einen ausgezeichneten Appetit. Marianne und Marie hatten Blech um Blech von dem gebacken, was man hier »Freud-und-Leid-Kuchen« nannte, also ein Gebäck für alle Fälle. Ulla und Lilly hatten Salate aller Art beigesteuert, und Willi schenkte Bier aus.
    Frieden, dachte Bremer und ließ sich von der Woge warmen Einverständnisses tragen. Nicht alle Wunden waren verheilt. Doch wenigstens konnte er Gottfried und Gregor Kosinski wieder in die Augen sehen. Er hob das Glas auf den alten Freund, der drüben bei Lilly hockte und sich unter Garantie das ganze Leben Wilhelms erzählen ließ. Zur späteren Verwendung.
    Die Beerdigung von Sophie Winter ein paar Tage später würde weit weniger spektakulär ausfallen, dachte Bremer. Aber er täuschte sich.
    Sophie Winter hatte ihre Schuld bezahlt. »Sie hat gesühnt.« Gottfried, als er vom Selbstmord Sophies erfuhr. So dachte man im Alten Testament.
    Und so auch hier. Und deshalb waren alle da: Luca und Nicole mit Moritz, Lilly und Ulla und Marianne mit Willi. Und Peter Abel. Sogar Marie an der Seite von Gottfried, die am Grab Sophies einen Tulpenstrauß niederlegte. Einen Strauß mit gelben Narzissen behielt sie in der Hand. Bremers Blick folgte ihr, als sie nach der Grablegung zu einem Grab zwei Reihen weiter ging.
    »Dort liegt Erika«, flüsterte er Anne zu, die am Tag zuvor und damit gerade rechtzeitig eingetroffen war.
    Als Bremer mit Anne im Gefolge der anderen den Friedhof verließ, sah er den Mann neben dem Friedhofstor stehen, einen schlaksigen Kerl mit Baskenmütze, um den Hals einen Fotoapparat. Er hatte den Mann schon einmal gesehen. Damals, als das Fernsehteam seinen Bericht über Basti drehte. Der Kerl hatte nach Sophie gefragt. Bremer zögerte. Dann ging er hinüber.
    »Was wollen Sie hier?«
    Der Mann sah aus, als ob er »Was geht Sie das an?« antworten wollte. »Ich nehme Abschied«, sagte er dann. »Von einer, die schon damals nicht gewußt hat, daß es mich gibt.« Drehte Bremer den Rücken zu und betrat den Friedhof. Paul sah ihm hinterher. Der Mann kniete vor Sophie Winters Grab nieder. Dann sah man es blitzen.
     
    Später, neben Anne draußen am Gartentisch, las Bremer ihr die Geschichte vor. Die Geschichte vom Machandelboom, die ihm eingefallen war, als er das Wort auf einem von Sophies Zetteln gelesen hatte.
    Es war ein Märchen der Gebrüder Grimm, von der Frau, die sich so sehr ein Kind wünschte, weiß wie der Schnee und rot wie Blut, und die vor Freude starb, als der Wunsch in Erfüllung ging. Von der Stiefmutter des
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