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Paul Bremer - 07 - Schrei nach Stille

Paul Bremer - 07 - Schrei nach Stille

Titel: Paul Bremer - 07 - Schrei nach Stille
Autoren: Anne Chaplet
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Protestschrei zur Seite neigte und die Dachrinne mitriß. Stille. Bremer horchte auf den Wind und auf den Atem der Frau. Die weißen Haare lagen wie Federn um ihr Gesicht, der Mund schien zu lächeln. Aber die Augen waren geschlossen. Kein Lebenszeichen. Erst jetzt spürte er die Kälte.

7
    Ein Treppenhaus. Altbau mit ausgelatschten Treppenstufen. Schäbiger Putz. Auf dem Treppenabsatz drei Gestalten in Lederjacken und Schnürstiefeln. Und jetzt los. Langsam. Stufe für Stufe. Körperkontakt halten, leise auftreten, nicht schnaufen beim Atmen.
    Gut so.
    Treppenabsatz. Nach hinten sichern. Nach vorne nicht drücken. Vor allem nicht stolpern. Weiter. Immer vorwärts. Nicht schwitzen. Mit Schwitzehändchen verlierst du gleich die Waffe, Kerl.
    Ganz schlecht.
    Sichern! Seid ihr blöd? Was macht ihr, wenn hinter der nächsten Biegung einer mit dem Messer steht?
    Na also. Das ist besser. Weiter so.
    Jetzt die Wohnungstür. Klingeln? Nicht klingeln. Auch recht. Einen Schritt zurück. Ein Tritt. Tür auf. Der Sound von In-A-Gadda-Da-Vida, voll aufgedreht. Na dann.
    »Und – danke!« Der Regisseur. Martin Vogelsang, ein Hüne von einem Mann mit einem Gang wie ein Brauereipferd. Die Komparsen in den Lederjacken entspannten sich. Auch Giorgio DeLange atmete auf. Hoffentlich war die Szene im Kasten. Seine Leute hatten die Wohnung an diesem Vormittag bestimmt schon an die zehnmal gestürmt. »Ist gutes Training, Jungs«, hatte er ihnen gesagt, aber keiner hatte auch nur die Mundwinkel verzogen.
    Der Drehort bewegte DeLange, er kannte ihn gut: Es war das ehemalige Frankfurter Polizeipräsidium an der Friedrich-Ebert-Anlage, heute Partylocation und Kulisse für Filmproduktionen. Und Martin Vogelsang faszinierte ihn. Der Mann hatte eine Geduld wie ein Heiliger oder ein armer Irrer. Dagegen war der Job des Aktenführers selbst bei Mordfällen mit erhöhtem Spurenaufkommen die reine Entspannung.
    Sein Ding war das nicht. Geduld. Die oberste Tugend von Ordnungskraft und Sicherheitsorgan. Nicht bei ihm. Vor allem heute nicht.
    Er machte sich Sorgen.
    Du machst dir immer Sorgen, Alter.
    Ja, aber diesmal …
    Diesmal. Jedesmal. Immer wenn so etwas in den Nachrichten kam. Immer wenn ein Kind verschwand wie der Junge aus dem Oberhessischen. Das trieb ihn um.
    Giorgio DeLange lächelte mit schmalen Lippen in sich hinein, während er auf den Fußballen langsam auf und ab wippte. Die meisten kleinen Schulschwänzer tauchen schnell wieder auf. Die Hälfte der Fälle klärt sich innerhalb einer Woche, vier Fünftel innerhalb eines Monats.
    Und trotzdem. Und trotzdem.
    »Papa, du siehst zuviel fern.« Flo, total lebenserfahren. Dabei hatte er gestern bloß wissen wollen, was das für ein Kerl war, der sie zur Party eingeladen hatte am Wochenende. »Ein Schulfreund.« Eltern? Beruf? Wohnlage? Asozial oder bessere Kreise, was manchmal das gleiche ist? Migrationshintergrund? »Wir schnupfen nicht alle schon mit fünfzehn Koks.« Nein? Ehrlich nicht? Nicht alle? Nur ein paar?
    »Und hast du nicht selbst gesagt, daß man eine verzerrte Wahrnehmung kriegt, wenn man immer alles durch die Polizistenbrille sieht?« Bingo. Die statistische Wahrscheinlichkeit war tatsächlich nicht groß, daß den beiden was passierte. Aber was machen wir gegen den Zufall, den dummen bösen Zufall?
    »Und – Pause!« Der Regisseur. Wie erlöst schwatzten alle durcheinander. Die Komparsen zogen die Lederjacken aus, der Tonmann nahm seine Kopfhörer ab, und sein Assistent ließ die lange Angel mit dem Mikrofon sinken. Die Kameraassistentin mit der strengen dunklen Brille staubte mit einem Pinsel das Kameraobjektiv ab, ein drahtiger Junge mit Pferdeschwanz kam mit einem frischen Akku angetrabt. Und dann strömten alle in die Kantine.
    DeLange blieb stehen und spürte, wie ihm das Lächeln gefror. Das spurlose Verschwinden von Kindern war der Albtraum jedes Ermittlers. Aber auch Erwachsene verschwanden. Und irgend etwas an diesem Film erinnerte ihn an einen Fall … Aber was? Und an welchen? Er kannte den Plot nur in groben Umrissen, er hatte das Drehbuch nicht gelesen. Das tat er nie. Und schon gar nicht die Romanvorlage des Films.
    »Summer of Love? Das ist ein ganz tolles Buch!« Caro.
    »Findet meine Lehrerin auch. Wir hatten das Teil in Deutsch. Ätzend.« Flo. Aufbauend, wie immer.
    DeLange tat seinen Job, und der betraf nur die Szenen, in denen Polizei und Kripo eine Rolle spielten. Die meisten Komparsen waren Polizisten, die sich in ihrer Freizeit was dazuverdienten,
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