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Paul Bremer - 07 - Schrei nach Stille

Paul Bremer - 07 - Schrei nach Stille

Titel: Paul Bremer - 07 - Schrei nach Stille
Autoren: Anne Chaplet
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aus Carbon.
    »Also arbeiten hat man die doch noch nie gesehen.« Marianne, der Ausbund einer fleißigen Landfrau. »Hat wohl reich geheiratet.«
    Weiber.
    Einmal hatte er sie halb gebückt im Garten entdeckt, die Haare zusammengebunden, in der rechten Hand eine Handschaufel, in der linken einen Blumentopf. Sie hatte hochgeblickt und ihn plötzlich angelächelt. Ihr Gesicht war nicht mehr jung, im Sonnenlicht sah man die Kanten und Furchen, aber es leuchtete. Dennoch hatte er sich nicht getraut, anzuhalten und mit ihr zu sprechen. Sie wirkte nicht unnahbar, das nicht. Aber ein bißchen – na ja: wie nicht ganz von dieser Welt. Unirdisch. Überirdisch.
    Jedenfalls nicht wie eine frühpensionierte Lehrerin. Außerdem fuhr sie eine Antiquität, einen roten Mercedes 190 SL, der als einziges Auto draußen auf der Straße stand. Das Haus hatte keine Garage.
    Bremer lehnte das Fahrrad an den Gartenzaun. Daß Ulla Abel nicht nach ihr hatte sehen wollen, war ungewöhnlich. Nachbarschaftshilfe gehörte zum Landleben wie Gülle auf den Feldern. Und wenn tatsächlich etwas passiert war?
    Der Garten war unaufgeräumt, Bremer kannte ihn nicht anders. Äste auf dem Boden unter den hohen Bäumen, neben dem Gartentor ein umgestürzter Blumentopf. Das Gartentor stand sperrangelweit offen. Er ging durchs Tor über den gepflasterten Weg auf die Haustür zu. Die Haustür war geschlossen, aber das kleine Fenster daneben stand offen. Erst als er näher kam, sah er, daß dem Fenster die Scheibe fehlte. Nur ein paar Glassplitter staken noch im Rahmen. Und es knirschte unter seinen Schuhen. Glasscherben. Warum lagen sie hier draußen und nicht drinnen, was normal wäre, wenn es sich um einen Sturmschaden handelte?
    Kein Name neben der Türklingel aus stumpf gewordenem Messing. Er klingelte trotzdem. Kein Laut. Nichts rührte sich. Als er versuchsweise die Klinke herunterdrückte, riß ihm ein Windstoß die schwere Holztür aus der Hand. Eine weiße Katze sprang ihm entgegen und an ihm vorbei.
    »Hallo? Ist jemand zu Hause?«
    Nichts. Niemand. Und das bei unverschlossener Tür. Die Stille machte ihn unruhig. Und obwohl er sich scheute, ein fremdes Haus zu betreten, sah er in jeden Raum. Die Küche war groß und kalt. Das Kaminzimmer noch größer und etwas wärmer. Die Bücherregale fielen ihm auf und die Tatsache, daß sie voller Bücher waren. Doch Lehrerin? Oder nur Leserin? Im ersten Stock klopfte er, bevor er die Türen öffnete, aber es war nur ein Zimmer bewohnt. Ein Schlafzimmer. Auch hier keine Menschenseele.
    Was hatte Wilhelm gesagt? Was hatte Ulla Abel gehört?
    Er lief wieder hinunter und hinaus, zog die Haustür hinter sich zu und ging ums Haus herum. Die Nachbarn hielten sich nach hinten heraus gepflegte Rasenflächen, eine Terrasse, einen Grillplatz, aber in diesem Garten gab es nichts als Bäume. Mindestens drei von ihnen hatte es erwischt, soweit er erkennen konnte, zwei Nadelbäume waren umgeknickt, und eine Birke wurde von einer der Tannen gegen das Haus und das Dach gedrückt. Bei jedem Windhauch gab es ein häßlich schabendes Geräusch. Bremer trat näher. Unter dem tief herabhängenden Ast der Tanne schimmerte es weiß. Er beschleunigte seine Schritte. Die Birke knarrte und knarzte, die Tanne zitterte, und unter ihren Zweigen flackerte das Weiß. Er kniete nieder und schob die Zweige zur Seite.
    Die Frau hatte die Augen geschlossen und atmete flach. Die linke Hälfte ihres blassen Gesichts war überzogen von schwarzen Rinnsalen, wie eine Faschingsmaske sah das aus, es mußte getrocknetes Blut sein. Wie lange sie wohl hier schon lag? Bremers Blick glitt an der schlanken Gestalt im weißen T-Shirt entlang. Der Baum hatte sie eingeklemmt, der schwere Ast lag über ihren Oberschenkeln. Er schaute wieder hoch. Was würde passieren, wenn er versuchte, sie unter der Tanne hervorzuziehen? Wie schwer war sie verletzt?
    Hilfe holen. Aber vielleicht war es dann schon zu spät.
    Die Frau gab ein Geräusch von sich, ein mattes Seufzen. Sie war blaß, viel zu blaß. Keine Zeit, um auf einen Krankenwagen oder die Feuerwehr zu warten. Er hockte sich unter den Ast, stemmte ihn hoch und drückte ihn zur Seite. Vom Dach her ertönte ein protestierendes Kreischen – Blech, das dem Druck nachgab, es mußte die Dachrinne sein. Er hielt mit dem Rücken den Ast in Position und zog den regungslosen Körper darunter zur Seite. Dann ließ er den Ast langsam wieder sinken. Für einen Moment herrschte Gleichgewicht, bis sich die Birke mit einem
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