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Patterson James

Patterson James

Titel: Patterson James
Autoren: Gruene Weihnacht
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Raymond und Jack gnädigerweise ihre Birdies
verpasst und automatisch ihre Pars eingesammelt hatten, sah
ich mir den Putt an, mit dem ich gleichziehen konnte.
Für einen Sekundenbruchteil, als ich hinter dem Loch in die
Hocke ging und meinen Ball anvisierte, schwamm ich in dem
schaurigen Gefühl, nicht genau zu wissen, wo ich eigentlich war.
War ich auf Pebble Beach, in der letzten Runde der US Senior
Open, oder wieder da, wo ich vor einem halben Jahr am
Weihnachtstag angefangen hatte, auf einem anderen 17. Grün,
und versuchte einen anderen Zwei-Meter-siebzig-Putt zu lesen, der mein Leben verändern sollte?
Die zwei Putts hatten sogar dasselbe seitliche Gefälle – von
links nach rechts – und dieselbe Geschwindigkeit – schnell –,
und wieder einmal konnte ich die Linie so klar und deutlich
sehen, als wäre sie mit Kreide vorgezeichnet.
Doch einen Unterschied gab es. Diesmal stand am anderen
Ende des Grüns, genau in der Verlängerung meiner Puttlinie,
Sarah, und mit ihrem dunkelbraunen Haar und den strahlenden Augen sah sie mindestens so schön und entschlossen und
aufgeweckt aus wie an dem Tag, als wir uns kennen lernten.
Wenn man sich vor Augen führt, was ich nun tat, dann scheint
es mir heute so, als ob ich gar nicht die Puttlinie sah, sondern
nur die Linie meines Herzens.
»Travis«, hörte ich Earl hinter mir nervös flüstern, »ist alles in
Ordnung mit dir, Travis?«
»In Ordnung?«, fragte ich mich im Stillen, »nichts ist in
Ordnung mit mir, natürlich nicht.«
Langsam ging ich auf die andere Seite des Lochs zurück,
doch anstatt bei meinem Ball stehen zu bleiben, marschierte ich
schnurstracks weiter, bis das Grün hinter mir lag und ich vor
Sarah in der vordersten Reihe der raunenden Menschenmenge
stand.
In diesem Moment musste Sarah nebst ungefähr fünfzehn
Millionen weiterer Leute, einschließlich der Fernsehkommentatoren Musberger, Nantz und Rosburg, meines Großvaters,
meiner Spielpartner, meiner Kinder und vor allem Earl, zu
dem Schluss kommen, dass bei mir jetzt endgültig alle Sicherungen durchgebrannt waren und ich komplett den Verstand
verloren hatte.
Und in gewisser Weise hatten sie Recht. Ich hatte den
Verstand verloren.
Aber nicht an diesem Nachmittag. Ich hatte ihn schon vor
einunddreißig Jahren verloren, an einem Frühjahrsmorgen an
der Universität von Chicago, als ich Sarah dastehen sah, wie sie
auf eine Biologievorlesung wartete. Ich hatte ihn erneut verloren, als ich Sarah vor dem Spiegel ihr Haar hochstecken sah,
wenige Minuten vor unserer Trauung im Garten ihrer Eltern an
einem vollkommenen Sommertag im Juni. Und ich verlor ihn
ein für alle Mal, ohne jede Hoffnung, ihn je wieder zu finden,
als ich sie am Morgen nach Elizabeths Geburt im Krankenhaus
sah, mit der gerade mal einen Tag alten Elizabeth im Arm.
Irgendwie habe ich wohl jedes Mal den Verstand verloren,
wenn ich sie nur ansah oder, mit ihr sprach, und ich bin fest
entschlossen, alles in meiner Macht stehende zu tun, um auch
weiterhin in diesem kopflosen Zustand zu verharren bis zu
dem eisigen Wintermorgen, an dem mein Herz seinen letzten
Schlag tut.
»Sarah«, flüsterte ich, »ich habe das in der Woche gekauft, als
ich in Winnetka war, und ich fürchte, wenn ich es auch nur
noch eine Sekunde länger mit mir herumtrage, dann macht
mein Herz endgültig schlapp.«
Ich hielt ihr einen Diamantring hin, der genauso aussah wie
der, den sie in unseren Flitterwochen verloren hatte.
Das heißt, eigentlich war er ein bisschen edler. Na gut, er war,
ehrlich gesagt, viel edler.
Ich war letzte Woche nach meinem Besuch zu Hause nicht
direkt von Winnetka zum Flughafen gefahren. Zuerst hatte ich
noch bei Harry Winston’s, dem nobelsten und außerdem stark
überteuerten Juwelier von Chicago, Halt gemacht, und aus
einem mir völlig unerklärlichen Grund bat ich den Verkäufer
mehrmals, mir doch etwas noch ein wenig Größeres, Eindrucksvolleres, Strahlenderes zu zeigen, bis er mir den Ring
zeigte, den ich gerade Sarah hinhielt.
Wie Sie vielleicht schon ganz richtig vermuten, wird Großes,
Eindrucksvolles und Strahlendes bei Harry’s nicht gerade
verschenkt. Es wäre wohl treffender, zu sagen, dass sie so etwas mit einem gewissen Zuschlag auszeichnen. Glücklicherweise kann man aber für 135000 Dollar immer noch recht
hübsche Steine und Fassungen bekommen.
Das ist kein Druckfehler. Ich habe meinen gesamten Gewinn
aus dem BellSouth Classic in den Ring gesteckt. Ich meine, zum
Teufel, was soll’s. Es war schließlich ein Sieg wegen
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