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Paris, Ein Fest Fürs Leben

Paris, Ein Fest Fürs Leben

Titel: Paris, Ein Fest Fürs Leben
Autoren: Ernest Hemingway
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anlangte, sehr unerfahren, und ich muß gestehen, daß ich gegen Homosexualität gewisse Vorurteile hatte, da ich ihre primitiveren Seiten kannte. Ich wußte, daß man deswegen, wenn man ein Junge war, ein Messer bei sich trug und es benutzen würde, wenn man sich in der Gesellschaft von Landstreichern befand, damals, als ‹Wolf› kein Slangausdruck für Männer war, die versessen hinter Frauen her waren. Ich kannte viele inaccrochable Ausdrücke und Redewendungen aus meiner Zeit in Kansas City und Sitten und Gebräuche in den verschiedensten Teilen dieser Stadt, in Chicago und auf den Schiffen der Großen Seen. Auf Befragen versuchte ich Miss Stein zu erklären, daß, wenn man ein Junge war und sich in der Gesellschaft von Männern bewegte, man bereit sein mußte, einen Mann zu töten, wissen mußte, wie man es machte, und wirklich wissen mußte, daß man töten würde, damit keiner einem etwas antat. Dieser Ausdruck war inaccro chable . Wenn man wußte, daß man töten würde, spürten es die anderen sehr schnell, und man wurde nicht belästigt, aber es gab gewisse Situationen, in die man sich weder hineinzwingen noch hineinlocken lassen durfte. Ich hätte mich viel anschaulicher ausdrücken können, wenn ich eine inaccrochable Wendung benutzt hätte, die die ‹Wölfe› auf den Schiffen der Großen Seen benutzten: «Solang das Schiff durch's Weltmeer segelt, wird eisern in den - Abendstunden gekegelt.» Aber ich war Miss Stein gegenüber vorsichtig mit meinen Ausdrücken, selbst wenn zutreffende Redewendungen ein Vorurteil erklärt oder besser ausgedrückt hätten. «Ja, ja, Hemingway», sagte sie. «Aber Sie lebten in einem Milieu von Verbrechern und Perversen.»
    Das wollte ich nicht erörtern, obgleich ich dachte, daß ich in einer Welt gelebt hatte, so wie sie eben war und in der es alle Sorten von Menschen gab, und ich bemühte mich, sie zu verstehen, obgleich ich manche von ihnen nicht gern haben konnte und ich manche jetzt noch haßte.
    Dann fragte ich: «Aber wie steht's mit dem alten Mann mit den wunderbaren Manieren und dem großen Namen, der in Italien ins Lazarett kam und mir eine Flasche Marsala oder Campari mitbrachte und sich tadellos benahm, und dann eines Tages mußte ich der Schwester sagen, daß sie diesen Mann nie wieder in mein Zimmer reinlassen dürfe.»
    «Solche Leute sind krank und können nichts dafür, und Sie sollten sie bemitleiden.»
    «Sollte ich Soundso bemitleiden?» fragte ich. Ich nannte seinen Namen, aber es beglückt ihn derart, ihn selbst zu nennen, daß ich es unnötig fand, es für ihn zu tun.
    «Nein. Der ist lasterhaft. Der ist ein Verderber, und er ist wirklich
lasterhaft.»
«Aber er soll ein guter Schriftsteller sein.»
    «Das ist er nicht», sagte sie. «Er ist bloß ein Wichtigtuer, und er korrumpiert aus Vergnügen an der Korruption, und er bringt Leute auch auf andere lasterhafte Praktiken. Zum Beispiel Rauschgifte.»
    «Und der Mann in Mailand, den ich bemitleiden soll, hat nicht versucht, mich zu korrumpieren?»
    «Seien Sie nicht so dumm. Wie konnte er hoffen, Sie zu korrumpieren? Korrumpiert man einen jungen Mann, der wie Sie Alkohol trinkt, mit einer Flasche Marsala? Nein, das war ein bemitleidenswerter alter Mann, der nichts für das konnte, was er tat. Er war krank, und er konnte nichts dafür. Sie sollten ihn bemitleiden.»
    «Das tat ich damals auch», sagte ich. «Aber ich war enttäuscht, weil er so wunderbare Manieren hatte.»
    Ich trank noch einen Schluck eau de vie und bemitleidete den alten Mann und blickte auf Picassos Akt von dem Mädchen mit dem Blumenkorb. Ich hatte diese Unterhaltung nicht begonnen und fand, daß sie ein bißchen gefährlich geworden war. Es gab beinahe nie Pausen in einer Unterhaltung mit Miss Stein, aber jetzt schwiegen wir, und da war etwas, was sie mir sagen wollte, und ich füllte mein Glas.
    «Sie wissen eigentlich von alldem gar nichts, Hemingway», sagte sie. «Sie haben berüchtigte Verbrecher und kranke Leute und lasterhafte Leute kennengelernt. Das Wesentliche ist, daß der Geschlechtsakt, den männliche Homosexuelle begehen, häßlich und abstoßend ist, und danach ekeln sie sich vor sich selbst. Sie trinken und nehmen Rauschgifte, um darüber hinwegzukommen, aber sie ekeln sich vor dem Akt, wechseln immerfort ihre Partner und können nicht wirklich glücklich sein.» «Ach so!»
    «Bei Frauen ist es das Gegenteil. Sie tun nichts, was sie anekelt, und nichts, was abstoßend ist, und danach sind sie glücklich und
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