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Papierkrieg

Titel: Papierkrieg
Autoren: Martin Mucha
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Philologie, was ist das? Eine Krankheit?«
    »Wenn, dann eine schlecht bezahlte.«
    »Sie wollen mich also erpressen.« Er ließ die Papierschnipsel in
einen Aschenbecher auf dem Tisch fallen.
    »Nichts läge mir ferner. Ich bin der Meinung, dass Ihre Tochter
weiterhin das tun sollte, was leichtsinnige junge Leute gerne tun.« Ich machte
eine kleine Pause. »Und nicht für zehn Jahre einfahren. Das wäre sicher nicht
gut für Ihre Geschäfte. Juristerei braucht den Anschein von Wohlanständigkeit
und Solidität. Aber das wissen Sie besser als ich.«
    »Für mich ist das, und bleibt es auch, Erpressung.«
    »Warum immer so negativ? Ich bewahre Ihre Tochter vor
Unannehmlichkeiten. Sehen Sie mich eher als Kindermädchen. Über das hinaus, was
ich jüngst geleistet habe, werde ich auch weiterhin alles mir Mögliche tun, um
den Ausgang der Ermittlungen von Ihrer Tochter wegzulenken …«
    »… und wenn das gutgeht, erwarten Sie eine kleine Erkenntlichkeit
meinerseits«, vollendete er meinen Satz.
    »So in etwa hätte ich mir das gedacht.«
    »Warum sollte ich mich in einem solchen Fall nicht nach
professioneller Hilfe umsehen?«
    »Niemand würde für ein bisschen Geld so ein Risiko eingehen.«
    »Aber Sie schon. Irgendwie nehme ich Ihnen nicht ab, dass Sie so
ein harter Kerl sind.«
    »Wir Philologen sind Tänzer am Rande des Vulkans, Buhlen der
Gefahr. Wir genießen das Adrenalin, denn bereits ein einfacher Beinbruch oder
eine kariesbedingte Zahnextraktion kann das Ende der Existenz bedeuten. Als
Externer Lektor kommt man nicht in der Genuss einer Krankenversicherung, auch
Pension und Sozialversicherung kennen wir nur vom Hörensagen.«
    Zum ersten Mal bekam sein Panzer aus Selbstsicherheit einen Riss.
Er runzelte die Stirn. Ich fuhr ungerührt fort: »Wie der berühmteste Vertreter
meiner Zunft sagte: Das glatte Eis ist Paradeis, für den, der drauf zu laufen
weiß …«
    Ich hatte dick aufgetragen, aber er schien mir genau der Typ dafür
zu sein.
    Meyerhöffer holte ein Zigarettenetui nebst Feuerzeug aus einer
Schreibtischschublade, zündete sich umständlich den Glimmstängel an und
inhalierte tief. Dann nahm er den Aschenbecher mit den Fetzen meiner Karte,
lehnte sich zurück und verbrannte das Papier.
    »Gut. Ich denke, bis zum Abschluss der
polizeilichen Ermittlungen brauchen wir voneinander nichts mehr zu hören.
Anschließend können Sie sich ja bei mir melden. Kontakt mit meiner Tochter verbietet
sich von selbst. Besondere Gewissenhaftigkeit muss ich Ihnen wohl nicht ans
Herz legen« – seine Fassade begann weiter zu bröckeln, die kultivierte
Modulation machte einer Mundart Platz, die nach Dosenbier und Hundepisse roch –
»wenn Sie pfuschen, bin ich meine Lizenz los und Sie gehen in den Knast. Und
darauf können Sie sich freuen, denn wenn ich Sie vorher in die Finger kriege …«
    Er zerdrückte die Zigarette im Aschenbecher
auf seinem Schoß, als ob sie ein widerliches Insekt wäre. Dazu hatte er eine böse
Miene aufgesetzt, das Frau Gräulich draußen wahrscheinlich zum Seelendoktor
treiben würde. Ich probierte nur mein unverschämtestes Lächeln, dasselbe, das
ich meinem Klassenvorstand gezeigt hatte, als er eine Woche vor den
Abschlussprüfungen meinte: »Linder, die Matura schaffen Sie nie!« Mit
gekräuselten Lippen stand ich auf, wartete nicht mehr auf seine Reaktion und
schloss die Tür von draußen. Im Vorzimmer saß noch immer Fräulein Gräulich vor
ihrem Computer und legte Patiencen. Neben ihr stand ein Teller mit Croissants,
ich schnappte mir zwei, warf ihrem erbosten Antlitz eine Kusshand zu und war
schon draußen.
    Unten saß noch immer der Sicherheitsmann, an dem das Leben immer
noch vorbeizog, der immer noch mit seinem Schocker spielte, und draußen war es immer
noch zum Fürchten kalt.
     

IV
    Es
war viertel vor elf, ich hatte also noch etwa eine Stunde, bis ich mich mit
Reichi treffen sollte. Die Zeit vertrieb ich mir in der Nationalbibliothek,
recherchierte etwas im Internet, blätterte Zeitschriften durch und wusste
danach ein bisschen mehr über den Anwalt und dessen Töchterchen.
    Danach machte ich mich auf zum Bräunerhof. Witzigerweise liegt er
direkt neben der Kanzlei, aber da ich ja schon den ganzen Tag mit einer
Mordwaffe unterwegs war, von Laptop und iPhone nicht zu reden, kam es auf das
bisschen Unvorsichtigkeit auch nicht mehr an. Mit Hybris strafen die Götter,
wen sie verderben wollen. Geld hatte ich auch keines mehr,
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