Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Panizza

Panizza

Titel: Panizza
Autoren: Kurt Tucholsky
Vom Netzwerk:
hätte, ist heute kaum mehr
    wert als ein bejahendes Achselzucken:
    Wo bist Du, Deutschland? O, in deinen Tannen
    der dunkle und geheime Flüsterwind,
    in dem du deine Seele auszuspannen
    gewohnt, und der so freundlich und so lind,
    er rauscht nicht mehr — die Geister all entrannen
    vor einem Nordwind eisig und geschwind …
    Du Büffelherde, trotzig-ungelenke,
    die durch die Wälder raset mit Gestank,
    folgst heute einem einz’gen Stier zur Tränke,
    und dieser eine Stier ist geisteskrank.
    Und als Mahnung und Aufschrei klingt durch die ungestüm
    polternden und holpernden Verse (wie schön hat diese Ottave
    rime Liliencron gehandhabt!) die Aufforderung an seine Deut-
    schen: Tut etwas! Seid aktiv und tut etwas! Er glaubt nicht recht daran; er sagt, die Marseillaise würde in Deutschland
    erst ertönen, die Gendarmen würden erst präsentieren und
    Volk und Heer befreit sein:
    Wenn einmal auf die Schlösser springen
    und in der Spree fließt roter Wein,
    dann wird man solche Lieder singen,
    dann hört man solche Melodeien!
    Und sein Traum ist, die Deutschen würden eines Tages so viel
    Verstand bekommen, die Bataillone nicht nur zu Schirm und
    Schutz vor die Fürsten aufzupflanzen, sondern zu ganz etwas
    anderm:
    Herr Moltke brauchte einst die Phrase:
    „Das Heer ist gegen Deutsche da,
    man säubert damit von der Straße
    die Menschen, die dem Schloß zu nah’
    gewagt sich“ — beim Champagnerglase
    fand seine Rede viel Hurrah!
    Doch irrt euch nicht, Ihr lieben Kinder
    der Gasse, denn kommt einst die Uhr,
    macht gegen Kronen und Cylinder
    Ihr Front, und sagt: Choc en retour!
    Und weil wir heute nicht mehr und noch nicht wieder — denn
    wir kennen unsre Pappenheimer — zensurpflichtig sind, des-
    halb sollten diese Klänge hier ertönen, aus denen noch einmal
    aufsteigt, was sich dieses Volk Jahrzehnte lang hat bieten las-
    sen. Die Revolution vom neunten November war keine: um
    eine etwas erregt verlaufene Statutenänderung wird heute et-
    was reichlich viel Spektakel gemacht. Eingeschlagene Fenster
    und eingeschlagene Köpfe besagen gar nichts für einen Um-
    sturz: aber es besagt wohl etwas, den Mut zu haben, das Alte
    herunterzureißen, daß es kracht und dann — dann erst! —
    etwas Neues aufzubauen.
    Manches, was 899 frisch klang, ist heute ein wenig veral-
    tet, jung aber wie je sei unser Haß gegen die Pickelhauben und
    ihre Schützer, deren Väter und deren Söhne.
    Wir gedenken des tapfern Oskar Panizza und grüßen die
    gefallenen Helden der deutschen November-Unruhen! Wird
    sich der Traum eines glücklich erwachten Deutschland ein-
    mal verwirklichen?
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher