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Palast der blauen Delphine

Titel: Palast der blauen Delphine
Autoren: Brigitte Riebe
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hungriger Magen zog sich abwehrend zusammen, und er versuchte, ihn durch gleichmäßiges Kauen und wiederholtes Wasserschlucken zu beruhigen.
    Und obwohl Merope ihm ausdrücklich strenges Fasten geboten hatte, schüttelte er seinen Brotbeutel aus. Eine Käserinde war alles, was er entdecken konnte. Er nagte sie sorgfältig ab.
    Eine heiße Welle von Übelkeit stieg in ihm auf. Heftig atmend ließ er sich rücklings auf die Unterlage sinken und schloß die Augen. Angst krampfte sein Sonnengeflecht zusammen, stand in kalten Perlen auf seiner Haut. Hilflos fühlte er sich dem Unbekannten ausgeliefert.
    Ruhig bleiben, ganz ruhig, befahl er sich selbst zitternd.
    Allmählich, ganz langsam, wurde das Unwohlsein schwächer, bevor es unerwartet in einer zweiten, kürzeren Welle zurückkam und ihm bitteren Speichel in den Mund trieb. Dann verebbte es.
    Er fühlte sich entspannt. Heiterkeit stieg in ihm auf und ließ ihn leicht werden. Er öffnete seine Augen. Schwindelig war ihm, schwebend, zum Fliegen bereit.
    An den Wänden tanzten Schatten, wie er sie niemals zuvor gesehen hatte. Sie zogen sich zusammen, bildeten verschlungene Linien und komplexe, geheimnisvolle Muster. Langsam und anmutig schwebten sie über Decke und Boden, kamen auf ihn zu und entfernten sich wieder.
    Er versuchte aufzustehen. Aber er konnte sich nicht mehr bewegen. Ein Teil von ihm glitt diesen Schatten entgegen und flog zu ihnen hinauf.
     
    Eine schwüle Sommernacht, eine kleine, geschützte Bucht, schwarz von Menschen, die voller Erwartung sind. Unter dem hellen Mondlicht ist ein Weidengestell in den Boden gerammt, auf das mit ledernen Gurten bäuchlings eine Frau geschnallt ist. Vom Meer her nähert sich ein nackter Mann, der eine lederne Stiermaske trägt. Dann beginnt das Lied der Trommel.
    Ihr schwarzes Haar verhüllt ihre Augen wie ein schwerer Vorhang, ihre Haut ist heiß. Sie ist das fruchtbare Land, das sich ihm öffnet. Und der mit der Maske findet sie, schiebt das Tuch beiseite, das sie bedeckt.
    Er dringt in sie ein. Die Menschen ringsherum schreien auf.
    Eins werden sie, und ihr keuchender Atem geht immer schneller. Die Frau bäumt sich auf unter ihm, daß die Weiden brechen und beide zu Boden fallen. An ihrem Arm baumelt noch das Lederband der Fesselung. Aber sie halten nicht inne. Und dann ist er fort. Niemand hat gesehen, wohin er gegangen ist. Im nahen Gatter brüllt der weiße Stier, den man zum Opfer bestimmt hat.
    Die Schenkel naß von seinem Samen, geht sie zum Meer und läßt sich von den Wellen liebkosen. Sie streichelt ihren bloßen Leib und weiß, er wird sich wölben, nachdem im Frühjahr das Licht auf die Insel zurückgekehrt ist. Sie wird ein Kind tragen. Einen Sohn.
    Meine Mutter. Meine Mutter!
     
    Das laute Echo seines Weinens holte ihn beinahe aus der Tiefe seiner Träume. Doch die Wirkung der Pilze war noch nicht abgeklungen. Seufzend versank er noch einmal in Raum und Zeit.
     
    Monate vergehen. Das Kind läßt den Leib der Königin schwellen, aber ihre Augen werden immer trauriger. Sie weint in den Nächten und grämt sich tagsüber. Harte Worte fallen zwischen ihr und ihrem Mann. Er steigert sich in rasende Eifersucht hinein. Wer ist der Vater des Kindes, das sie trägt?
    Keiner sagt es ihm. Niemand außer den Priesterinnen darf erfahren, wer sich hinter der Stiermaske verbirgt.
    Lange Zeit ist die Königin stolz und stark, beruft sich auf ihr heiliges, altes Recht. Dann erfährt sie von der Verschwörung.
    Heimlich hat der Mann an ihrer Seite versucht, nach der Macht zu greifen. Er mißbraucht sein Amt. Anstatt sich um die Bewässerung zu kümmern, läßt er im Süden der Insel eine Flotte erbauen. Hinter ihrem Rücken trifft er Abmachungen mit anderen Völkern. Er spielt sich als König auf, wo immer er kann.
    Er ist nicht allein. Mit drei Freunden wagt er den Aufstand. Die Männer auf der Insel horchen auf. Überall entsteht Unruhe. Ist die Vorrangstellung der Frauen bald gebrochen? Sitzt bald ein Mann auf dem Greifinnenthron?
    Sie stellt ihn zur Rede, er streitet alles ab. Er handelt nur in ihrem Namen. Er will die Insel schützen, die sie regiert.
    Aber die Zeichen mehren sich. Noch hält sie ihm stand. Sie fürchtet ihn nicht, bis zu dem Tag, an dem zwei ihrer Priesterinnen spurlos verschwinden. Weise Beraterinnen drängen sie zur Flucht. Sie werden ihn in seine Schranken weisen – wenn sie außer Gefahr ist. Sie kann nicht länger in seiner Nähe bleiben, will sie nicht ihr Leben und das des Ungeborenen
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