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Paladin der Seelen

Paladin der Seelen

Titel: Paladin der Seelen
Autoren: Lois McMaster Bujold
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sortierte alles wieder um und wog die Bedürfnisse von Istas Trauerzeit, die selbstverständlich passende Farben vorschrieb, gegen die Erfordernisse jeglicher möglicher oder unmöglicher Eventualität ab. Ista saß auf einem Platz vor dem Fenster, mit Blick auf den Vorhof, und ließ den Wortschwall an sich vorüberplätschern wie das Wasser aus einer Traufe. Allmählich bekam sie wirklich Kopfschmerzen.
    Geräusche und geschäftiges Treiben vom Tor her kündigten einen weiteren Besucher außer der Reihe an. Ista beugte sich vor und schaute durch die Fen sterflügel. Ein großes, kastanienbraunes Pferd kam mit klappernden Hufen durch den Torbogen. Über seiner abgenutzten Kleidung trug der Reiter einen Wappenrock, auf dem eine Burg und ein Leopard zu sehen waren – das Emblem der Kanzlei von Chalion. Der Reiter schwang sich vom Pferd und wippte auf seinen – nein, ihren Zehen: Die Botin war eine junge Frau mit langem, schwarzem Haar, das zum Zopf geflochten über ihren Rücken hing. Sie zog ein Bündel hinter dem Sattel hervor und rollte es mit einem Schnappen auseinander. Ein Rock kam zum Vorschein. Wenig sittsam schlug sie ihren Überwurf hoch und wickelte das Kleidungsstück über der Hose um ihre schlanke Taille. Mit einem übermütigen Hüftschwung schüttelte sie den Saum bis auf Knöchelhöhe über die Stiefel.
    Dy Ferrej kam heraus. Das Mädchen öffnete die Kanzleitasche und drehte sie um, sodass ein einzelner Brief herausfiel. Dy Ferrej las die Anschrift und riss das Schreiben an Ort und Stelle auf. Ista schloss daraus, dass es sich um ein persönliches Schreiben seiner geliebten Tochter handelte, Lady Betriz, einer Zofe am Hof der Königin Iselle. Seine Miene entspannte sich. Vielleicht waren es Neuigkeiten von seinem Enkel. Bekam er schon die ersten Zähne? Nun, Ista würde bald davon hören. Sie konnte ein kleines Lächeln nicht unterdrücken.
    Das Mädchen streckte sich, verstaute wieder ihre Tasche und betrachtete prüfend die Beine und Hufe ihres Reittiers. Dann übergab sie es dem Knecht mit einer Reihe von Anweisungen. Ista wurde sich bewusst, dass das Kammerfräulein ihr über die Schulter blickte.
    Einer Eingebung folgend sagte Ista: »Ich möchte mit der Botin sprechen. Bringt sie zu mir.«
    »Herrin, sie hatte nur diesen einen Brief.«
    »Nun, dann muss sie mir die Neuigkeiten vom Hof wohl mündlich übermitteln.«
    Die Zofe schnaubte. »So ein ungehobeltes Ding dürfte mit den Belangen der Hofdamen in Cardegoss wohl kaum vertraut sein.«
    »Sei es, wie es sein mag. Bringt sie zu mir.«
    Vielleicht lag es an ihrem scharfen Tonfall, jedenfalls machte die Frau sich auf den Weg.
    Nach einer Weile erklangen feste Schritte vom Flur her, und der Geruch nach Pferden und Leder breitete sich in Istas Wohngemach aus und kündete von der Ankunft des Mädchens, noch bevor die missbilligende Stimme ihrer Zofe zu vernehmen war: »Majestät, hier ist die Botin, nach der Ihr verlangt habt.« Ista wandte sich auf dem im Mauerwerk eingelassenen Sitzplatz um und blickte auf. Sie bedeutete der Zofe mit einer Handbewegung, das Gemach zu verlassen; sie ging hinaus, nachdem sie vorher noch einmal abfällig die Stirn gerunzelt hatte.
    Das Mädchen sah Ista neugierig, jedoch ein wenig eingeschüchtert an. Sie brachte eine ungeschickte Bewegung zustande, irgendetwas zwischen einer Verbeugung und einem Knicks. »Wie kann ich Euch zu Diensten sein, Majestät?«
    Das wusste Ista selbst kaum zu sagen. »Wie heißt du, Mädchen?«
    »Liss, Majestät.« Nach einem Augenblick verlegenen Schweigens fügte sie hinzu: »Eine Abkürzung für Annaliss.«
    »Woher kommst du?«
    »Heute? Meine Botentasche habe ich in der …«
    »Nein, überhaupt.«
    »Nun, mein Vater besaß ein wenig Land in der Nähe der Stadt Teneret, im Herzogtum Labra. Dort züchtete er Pferde für den Ritterorden des Bruders, und Schafe für die Wolle. Das macht er immer noch, soweit ich weiß.«
    Ein vermögender Mann. Es war also nicht Armut gewesen, die sie angetrieben hatte. »Weshalb bist du Kurier geworden?«
    »Ich hatte vorher nie daran gedacht. Eines Tages aber ritt ich mit meiner Schwester in die Stadt, um ein paar Pferde am Tempel abzuliefern. Da sah ich ein Mädchen vorbeigaloppieren, das als Kurier für den Orden der Tochter unterwegs war.« Sie lächelte, als wäre es eine sehr erfreuliche Erinnerung. »Von diesem Moment an konnte ich an nichts anderes mehr denken.«
    Vielleicht lag es daran, dass sie so überzeugt von ihrer Berufung war,
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