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Paladin der Seelen

Paladin der Seelen

Titel: Paladin der Seelen
Autoren: Lois McMaster Bujold
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wollte nicht, dass das Mädchen fortging. Andererseits sah es ziemlich mitgenommen aus und war schmutzig von der Reise. Liss wollte sich bestimmt erst einmal waschen und sich erfrischen. »Wir sollten noch einmal miteinander sprechen, Liss aus Labra. In einer Stunde wird das Abendessen gereicht. Du wirst mir dort deine Aufwartung machen und an meiner Tafel speisen.«
    Überrascht hob das Mädchen die dunklen Augenbrauen. Dann zeigte sie wieder die Mischung aus Hofknicks und Verbeugung. »Wie Ihr befehlt, Majestät.«
     
    Die Speisetafel der alten Herzogin war gedeckt wie Tausende Male zuvor, wenn kein Feiertag die gewohnten Abläufe störte. Es war durchaus behaglich in dem kleinen Speisesaal im neuesten Gebäude der Burg, mit einem offenen Kamin und verglasten Fenstern.
    Es war auch die gewohnte Gesellschaft zugegen: Lady dy Hueltar, eine ältliche Verwandte von Istas Mutter und deren langjährige Gesellschafterin; dann Ista selbst; ihre ranghöchsten Zofen sowie der ernste dy Ferrej. Nach stillschweigender Übereinkunft blieb der Stuhl der verstorbenen Herzogin frei. Ista hatte den Platz am Kopf der Tafel nicht beansprucht, und niemand hatte sie dazu gedrängt – vielleicht, weil man es als Ausdruck ihrer Trauer missdeutete.
    Dy Ferrej traf ein und brachte Ferda und Foix mit, die beide überaus vornehm und sehr jung aussahen. Hinter ihnen kam die Botin herein und verbeugte sich höflich vor allen Anwesenden. Als sie der Königin allein gegenübergestanden hatte, war sie tapfer und entschlossen aufgetreten, doch der Speisesaal verströmte eine Atmosphäre gesetzten Alters, die selbst einem erfahrenen Veteranen Ehrfurcht eingeflößt hätte. Liss setzte sich steif auf ihren Stuhl und schien sich noch kleiner machen zu wollen, obwohl sie die beiden Brüder mit Interesse musterte. Der Geruch nach Pferd haftete nun nicht mehr so penetrant an ihr, obwohl Lady dy Hueltar immer noch die Nase rümpfte. Doch am Tisch gegenüber von Ista blieb noch immer ein Gedeck unbenutzt – und bestimmt nicht für die verstorbene Herzogin.
    »Erwarten wir noch einen Gast?«, wollte Ista von dy Ferrej wissen.
    Dieser räusperte sich und nickte der alten Lady dy Hueltar zu.
    Auf deren runzligen Antlitz erschien ein Lächeln. »Ich habe beim Tempel in Valenda nach einer geeigneten Priesterin fragen lassen, die Euch auf der Fahrt als geistlicher Beistand zur Seite stehen kann, Majestät. Wenn wir schon nicht nach Cardegoss schicken und uns von dort einen Geistlichen kommen lassen, der mit den höfischen Gepflogenheiten vertraut ist, sollten wir zumindest nach einem geeigneten Ersatz Ausschau halten. Ich dachte an Hochwürden Tovia vom Orden der Mutter. Ihr Ruf als Theologin ist vielleicht nicht so bedeutend, doch sie ist eine ausgezeichnete Heilkundige, und sie kennt Euch von klein an. Es wäre gewiss eine Erleichterung, könnten wir auf jemand Vertrauten zurückgreifen, falls uns während der Reise irgendwelche fraulichen Beschwerden plagen, oder … oder wenn Eure früheren Probleme sich erneut einstellen. Und ich wüsste keinen, der Eurem Geschlecht und Rang angemessener wäre.«
    Die Geistliche Tovia war eine Busenfreundin der verstorbenen Herzogin gewesen und war auch mit Lady dy Hueltar sehr gut bekannt; Ista konnte sich die drei gut auf einem gemütlichen Ausflug an einem sonnigen Frühlingstag vorstellen. Bei den Göttern, nahm Lady dy Hueltar etwa an, bei dieser Fahrt dabei zu sein? Ista unterdrückte das Bedürfnis, würdelos aufzuschreien – wie Liss bei dem Gedanken an das Garn.
    »Ich wusste, Ihr würdet Euch freuen«, fuhr Lady dy Hueltar fort. »Und ich dachte mir, Ihr wolltet vielleicht schon während des Essens Eure Reiseroute mit ihr durchgehen.« Sie runzelte die Stirn. »Es sieht To via gar nicht ähnlich, sich zu verspäten.«
    Ihre Stirn glättete sich wieder, als ein Dienstbote hereinkam und verkündete: »Der Gast aus dem Tempel ist eingetroffen, Herrin.«
    »Ausgezeichnet. Führt sie sogleich herein.«
    Der Diener öffnete den Mund, als wollte er noch etwas anmerken. Dann aber verbeugte er sich und verschwand.
    Als die Tür erneut aufschwang, trat eine atemlose Gestalt hindurch, die unerwartet vertraut wirkte: Der übergewichtige junge Geistliche des Bastards, den Ista vor ungefähr zwei Wochen beim Pilgerzug gesehen hatte. Heute waren seine weißen Roben nur um Weniges sauberer – zwar frei von Straßenstaub, an Saum und Vorderseite aber mit Schmutzrändern gezeichnet. Abrupt blieb er stehen, als ihm auffiel,
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