Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Titel: Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer
Autoren: Tad Williams
Vom Netzwerk:
»Ich bin wieder da.«
    Ein neuer Gedanke ließ ihn die Augen wieder öffnen. »Quan Li! Nehmt euch vor Quan Li in acht!«
    »Sie ist weg, William«, sagte Martine.
    »Sie wollte mich umbringen, die elende … alte Kröte. Wollte verhindern … daß ich mit jemandem rede … über diese Nacht in Aerodromien. Ich hatte ihr erzählt, ich hätte … jemanden zurückkommen gehört.« Er rang nach Atem. »Sie sagte, sie auch, aber meinte, es sei … Martine gewesen.«
    Die Blinde beugte sich näher heran. »Hast du deswegen dieses merkwürdige Gespräch mit mir geführt und mir diese ganzen Dinge erzählt?«
    »Ich … wollte sehen, wie du reagierst. Aber was mich betrifft, hab ich die Wahrheit gesagt. Ich dachte, du würdest … es merken, wenn ich lüge.« Er lachte leise; es klang scheußlich. »Die Oma hat mich ganz schön … am Gängelband geführt, was?« Sein Gesicht verkrampfte sich, dann entspannte es sich wieder. »Herrje, tut das weh. Und wie langsam das geht. Mir ist, als ob ich … schon seit Tagen … sterbe.«
    Renie wußte nichts über die Nacht, auf die er sich bezog, und es schmerzte sie zu sehen, wie sehr ihn das Reden anstrengte. Martine konnte ihr das alles später erklären. »Schon gut, William. Quan Li ist weg.«
    Er schien sie nicht gehört zu haben. »Das dürfte … alle Fragen beantworten, wie’s … mit dem Sterben online ist, was, Flossie? Das Gefühl … läßt sich nicht fingieren. Wenn du hier … ins Gras beißt, dann … in echt.«
    Florimels Gesicht hatte immer noch die üblichen harten Züge, aber jetzt faßte sie Williams andere Hand. »Wir sind alle bei dir«, sagte sie.
    »Martine, ich hab dir nicht … die ganze Wahrheit gesagt«, murmelte der sterbende Mann. Er hatte die Augen wieder offen, aber jetzt schien er der Blinde zu sein und die Französin nicht finden zu können. »Ich hab dir von … Freunden von mir erzählt, Online-Freunden … daß einige davon im Koma liegen. Aber bei einer… da war’s was Besonderes. Ich war… ich war in sie verliebt. Ich wußte nicht, daß sie so jung war …! Im realen Leben bin ich ihr … nie begegnet.« Williams Gesicht verzog sich vor Schmerzen. »Ich hab sie nicht angerührt! Niemals! Aber ich hab ihr … meine Gefühle gestanden.« Er stöhnte, und seinen durchstochenen Lungen entwich ein schauriger Pfeifton. »Als sie… krank wurde, dachte ich … es ist meine Schuld. Ich kam hierher … wollte sie … sie finden und … ihr sagen, wie … leid es mir tat. Ich hatte sie doch für… eine erwachsene Frau gehalten, ganz … ehrlich. Ich hätte nie …« Er keuchte und verstummte, und man hörte nur noch sein qualvolles Atemgeräusch.
    »Es ist gut, William«, sagte die blinde Frau.
    Er schüttelte schwach den Kopf. Er machte den Mund auf, doch es dauerte eine Weile, bis die Worte kamen. »Nein. Ich war … ein Narr. Ein alter Narr. Aber ich wollte … gern etwas … Gutes tun …«
    Er atmete noch eine Weile stockend und keuchend, aber brachte kein Wort mehr heraus. Schließlich durchlief ihn ein Schauder, und er war still.
    Renie blickte auf den steif und leer daliegenden Sim, dann zog sie ihm eine Ecke seines schwarzen Capes über das Gesicht und setzte sich auf. Sie zwinkerte gegen die Tränen an und wischte sich über die Wangen. Eine ganze Weile verging in tiefem Schweigen, bevor sie sagte: »Wir müssen ihn begraben. Es kann sein, daß wir uns hier eine Zeitlang aufhalten.«
    »Hast du denn gar kein Gefühl?« herrschte Florimel sie an. Sie hielt immer noch Williams Hand. »Er ist erst wenige Minuten tot!«
    »Aber er ist tot, und wir übrigen sind am Leben.« Renie stand auf. Was bleibt uns übrig, als grausam zu sein? dachte sie. Sie hatten William verloren, und sie hatten das Zugangsgerät verloren. Es war wichtig, daß sie irgend etwas taten – nicht nur für sie, sondern für alle. Selbst ein Begräbnis war besser als nichts. »Und das Ungeheuer, das ihn getötet hat, könnte jederzeit zurückkommen. Wir müssen auch noch über eine Menge anderer Sachen reden.« Sie deutete auf einen Fleck, an dem die absonderliche Landschaft sich der Normalität ein bißchen mehr angenähert und ihre graue, protoplasmatische Farbe wenigstens Formen angenommen hatte, die Felsen, Erdreich und Gras ähnelten. »Wenn wir uns eine der deutlicher ausgeprägten Stellen aussuchen wie die dort, müssen wir nicht die ganze Zeit, die wir noch hier sind, seinen leeren Sim vor Augen haben. Das könnt ihr doch nicht wirklich wollen, oder?«
    »Renie,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher