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Ort der Angst (German Edition)

Ort der Angst (German Edition)

Titel: Ort der Angst (German Edition)
Autoren: Mala Wintar
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Eingeweide des Anmaßenden. Der Mann sank wimmernd zu Boden und wand sich in einer Lache seines eigenen Blutes. Voller Verachtung blickte der Halach Huinik auf den zuckenden Leib des Sterbenden und erklärte, wer sonst noch den Wunsch hege, ihm als Toter in die Unterwelt vorauszueilen, der brauche es nur zu sagen. Entsetzt wichen die übrigen Priester zurück, warfen sich zu Boden und erklärten, lediglich an das Wohlergehen ihres Königs zu denken.
    „Mein Wohlergehen ist erst dann wieder hergestellt, wenn ich erfolgreich von den Göttern zurückkehre!“ Achtlos ließ er die blutverschmierte Waffe zu Boden fallen. Seine ratlose Priesterschaft hinter sich lassend, stieg Ek Balam die Stufen des Palastes hinab und verschwand in der Schwärze des Dschungels. Sie alle wussten, wohin er ging. Doch niemand wagte, ihm zu folgen.
    Mehr als dreißig Tage blieb der Höchste verschwunden. Nach dieser langen Zeit des Wartens und der Ungewissheit schien seine Rückkehr ausgeschlossen und man ernannte Xaman zum stellvertretenden Regenten. Was andere Kandidaten ihm an Jahren voraushatten, machte er durch Ehrgeiz und geschickte Einflussnahme wett.
    Doch wie brachte man den Untertanen den endgültigen Verlust des Halach Huinik am besten bei? In diesem Punkt gelangte die spirituelle Führungsspitze zu keiner Einigung.
    Xaman dagegen beschäftigten ganz andere Dinge. Es galt, möglichst rasch seine neue Position zu festigen. Unter seiner Regentschaft sollten sich die Götter nicht länger mit symbolischen Blutritualen und ein paar Gefangenen begnügen müssen. Mit ihm sollte eine neue Ära beginnen. Das heilige Ballspiel, das er Chaac zu Ehren ausrichten ließ, bildete den Auftakt. Am Ende des Turniers verkündete Xaman, dass den Siegern die unermessliche Ehre zuteilwerden sollte, dem Gott als Opfer dargebracht zu werden. Er ließ die gesamte Mannschaft köpfen und dem Kapitän die Haut abziehen.
    Allein die Erinnerung ließ ihn genüsslich erschaudern und voller Erregung an das Gefühl der warmen Feuchte denken, die über seine Schultern geglitten war, als ihm die anderen Priester die abgezogene Haut des Toten umgelegt hatten. Danach stieg er die Stufen der heiligen Pyramide empor und tanzte sich unter den Augen der Menge in Trance. Sein Geist wanderte hinüber in eine andere Welt. Dort konnte er die mächtige Gestalt des Regengottes Chaac erkennen, der seine Hände in einen Teich des geopferten Lebenssafts tauchte und ihm zunickte. Damals wusste Xaman, dass sie nicht mehr lange auf den ersehnten Regen warten mussten.
    Und dann, nach all der Zeit, war Ek Balam am helllichten Tag im großen Tempel aufgetaucht, um zu verkünden, seine Reise in die Unterwelt sei erfolgreich gewesen. Niemand hatte ihn hereinkommen sehen. Wie ein Lauffeuer breitete sich die Kunde in der Stadt aus. Sämtliche Würdenträger eilten herbei, um ihn gebührend zu begrüßen. Als Xaman seinen König erblickte, durchflutete ihn ein Gefühl, das er selbst nicht zu deuten vermochte. War es Enttäuschung oder gar Furcht?
    Ek Balam wirkte ausgezehrt. Tiefe Schatten lagen unter seinen Augen. Dennoch strahlte er eine Härte und Entschlossenheit aus, die Xaman gegen seinen Willen mit Ehrfurcht erfüllte.
    Die Fragen einiger Neugieriger wiegelte der König mit den Worten ab, er werde zu gegebener Zeit zu seinem gesamten Volk sprechen.
    Man ließ die königliche Sänfte rufen. Ek Balam sollte mit eigenen Augen sehen, wie gut sich sein Stellvertreter in der Zwischenzeit um alles gekümmert hatte.
    Als der Tross das Feld des heiligen Ballspiels erreichte, lehnte sich Ek Balam in seinem Prunksessel nach vorn. Mit versteinerter Miene betrachtete er die abgehackten Köpfe, die auf Pfählen steckten und den Platz säumten. Fliegen summten durch die hitzeschwere Luft, krabbelten über die Gesichter der Toten und taten sich an dem getrockneten Blut gütlich.
    Der Halach Huinik sagte nichts. Aber der Blick, den er Xaman zuwarf, traf ihn wie ein Schlag ins Gesicht. War er zu weit gegangen? Während er dem Herrscher zurück zum Palast folgte, breiteten sich böse Vorahnungen in seinem Geist aus. Tief in Gedanken versunken bemerkte er nicht, wie sich der Himmel über ihnen schwarz färbte und die ersten Regentropfen neben seinen Füßen auf den staubigen Boden schlugen. Erst, als das Gefolge um ihn herum in Jubel ausbrach, erkannte er, was geschehen war.
    Die Freudenrufe aus seiner Erinnerung vermischten sich mit denen der Gegenwart. Xaman schüttelte den Kopf. Ihm wurde erst jetzt
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