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Opium fürs Volk: Natürliche Drogen in unserem Essen (German Edition)

Opium fürs Volk: Natürliche Drogen in unserem Essen (German Edition)

Titel: Opium fürs Volk: Natürliche Drogen in unserem Essen (German Edition)
Autoren: Andrea Fock , Jutta Muth , Monika Niehaus , Udo Pollmer
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lohnt sich, denn der Organismus des naschhaften Feindes kann sie oft noch schwerer entgiften als Amine. Auch ein Alkaloid wirkt vor allem dann auf die Psyche, wenn in ihm die Struktur eines Botenstoffs erhalten bleibt. 3
    Die Alkaloidsynthese folgt zunächst einem relativ simplen Grundrezept: Den Anfang kennen wir schon: Man nehme eine Aminosäure und verwandle sie in ein Amin. Jetzt muss man nur noch zusehen, dass das Stickstoffatom des Amins z. B. mit einem Aldehyd einen hübschen Ring bildet. Was die Aldehyde angeht, so können Pflanze und Tier auf eine breite Auswahl zurückgreifen. Der einfachste Vertreter dieser Stoffgruppe ist der Formaldehyd, der auch chemisch weniger Interessierten als augenreizender Mief aus Spanplatten und Billigmöbeln bekannt ist.
    Der Acetaldehyd (sprich: Azeht-Aldehüd) ist ein weitverbreiteter Aromastoff. Er verleiht einer breiten Palette von Lebensmitteln Geschmack, von Schnäpsen bis hin zum Joghurt. Komplexer ist der Benzaldehyd, ein ringförmiges Molekül, das den typischen Geruch nach Bittermandeln z. B. in Marzipan hervorruft und auch in vielen Blütendüften das Bouquet abrundet. Die aus Amin und Aldehyd gebildeten Alkaloidmoleküle können an allen möglichen anderen Stellen weiter verändert werden, um Fraßfeinde vor immer neue und schwerer zu lösende Entgiftungsaufgaben zu stellen.
    Ganz so einfach wie auf dem Papier funktioniert das natürlich nicht, sonst hätten die Chemiker ja komplizierte, arzneilich wirksame Moleküle schon lange billig im Labor nachgebaut. Auch müsste niemand mehr Schlafmohn zur Morphingewinnung anbauen, damit der Arzt die Schmerzen von Krebspatienten zu lindern vermag. Im Gegenteil, alkaloidproduzierende Lebewesen verfügen über eine komplexe Enzymausstattung, die diese schwierige Arbeit erledigt. Besonders Pflanzen, die sich weder mit Klauen und Zähnen wehren, noch fortlaufen können, setzen auf effektive chemische Waffen: In ihnen fand man 75 Prozent der inzwischen über 12 000 bekannten Alkaloide. Manche Pflanzenfamilien sind darin besonders fit, etwa die Nachtschattengewächse (Tabak, Bilsenkraut, Tollkirsche), die Mohngewächse, die Hülsenfrüchtler (Goldregen) und die Brechnussgewächse. 2
    Dabei sind Alkaloide nicht für alle Lebewesen gleichermaßen giftig. Es hängt auch davon ab, worin die Pflanze ihren größten Feind sieht. Manche Alkaloide wirken z. B. nur auf Insekten und lassen Säugetiere ungeschoren. Das giftige Coniin aus dem Schierling wird von Schafen und Ziegen recht gut verkraftet, von Rindern und Schweinen jedoch weniger, und dem Menschen sollte man vom Schierlingsbecher unbedingt abraten.
    Die Pflanze erzeugt ihre Alkaloide aber nicht unbedingt dort, wo wir sie dann später finden. Nikotin wird von der Tabakpflanze in der Wurzel gebildet und danach in die Blätter verfrachtet; dasselbe gilt für das Kokain. Pflanzen lagern in ihren reifen Samen oft besonders große Mengen an giftigen Alkaloiden ein. Das verdirbt Leckermäulern den Appetit an der nährstoffreichen Beute. So schützt die Brechnuss (Strychnos nux-vomica) ihre großen und hartschaligen Samen mit hochgiftigem Strychnin; das weiche Fruchtfleisch ist relativ harmlos. Unzerkaut dürften die Samen ohne nachteilige Folgen für Liebhaber von Brechnuss-Obst, also vor allem Nashornvögel ( Bucerops ssp.), wieder ausgeschieden werden, um dort zu einem Baum heranzuwachsen. Beim Mohn ist es umgekehrt, die Morphine befinden sich in der reifenden Fruchtkapsel, nicht aber in den winzigen reifen Samen, die wir dann als Blaumohn verzehren 3 (siehe S. 122). Hier schützt offenbar die Hülle das Saatgut vor dem herzhaften Biss ins Eingemachte.
    Selbst ist der Mann!
    Selbst die hartgesottensten Naturstoffchemiker schlagen angesichts der gigantischen Vielfalt der Alkaloide schon mal die Hände über dem Kopf zusammen. Um nicht die Übersicht über diese komplizierte Stoffgruppe zu verlieren, sortieren sie die Alkaloide anhand ihrer ringförmigen Grundstrukturen. Insgesamt gibt es neun Gruppen, deren Ringsysteme so illustre Namen wie Phenanthren, Isochinolin oder Tropan tragen. Die riesige Abteilung der Indol-Alkaloide enthält besonders interessante psychogene Substanzen und Gifte. Sie entstehen aus Aminen, die als Grundstruktur einen Zweierring mit dem Namen Indol aufweisen. Dieses Indolringsystem kennen wir schon, denn es findet sich in unserem alten Bekannten, dem Tryptamin wieder, das wiederum aus der Aminosäure Tryptophan entstanden ist.

    Abb. 5: Strukturelle
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