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Operation Beirut

Operation Beirut

Titel: Operation Beirut
Autoren: David Ignatius
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nicht wieder weggegangen war. Er hatte es gerne, wenn man ihn mit dem ägyptischen Wort für Pförtner ansprach:
Bawab.
    Die Wohnung war geräumig und hell. Vom Grundriss her war sie wie eine Villa angelegt, mit großem Wohn- und Esszimmer, in denen man Gäste empfangen konnte; um diese beiden Räume reihten sich die Schlafzimmer, eine Bibliothek und ein Zimmer für das Hausmädchen. Den Höhepunkt der Wohnung stellte eine große Terrasse mit Blick auf das Mittelmeer dar. Von dieser Terrasse aus konnte man den Fischern zuschauen, die jeden Morgen in ihren Skiffs aufs Meer hinausfuhren. Und man hörte das Tosen der Wellen, die 200 Fuß weiter unten gegen die felsige Küste schlugen. Es war eine Wohnung, in der eine Familie angenehm und stilvoll leben konnte – auf libanesische Art eben.
    Jane unternahm mit den Kindern Streifzüge, auf denen sie ihr neues Viertel auskundschafteten. Es gab einen Smith’s Markt an der Rue Sadat, der sämtliche Gewürze und Nahrungsmittel der ganzen Welt zu führen schien. Einige Türen weiter gab es eine Eisdiele, die arabisches Speiseeis verkaufte, süßer als Zucker, und von Konsistenz und Geschmack her europäischem Pudding sehr ähnlich. In einer Gasse war ein kleiner Laden, in dem es Kaffee gab, nach arabischer Art mit Gewürzen versetzt. An einem Sommertag schien die gesamte Rue Sadat nach Kardamom zu riechen.
    Auf der anderen Straßenseite befand sich ein Blumenladen, in dem es die schönsten Blüten zu kaufen gab, die man sich denken konnte: Orchideen und Rosen, Iris und Gladiolen. Der Besitzer war ein stämmiger sunnitischer Moslem; er war völlig kahlköpfig und hatte das Auftreten eines türkischen Ringers. Ein reichlich komischer Anblick: dieser mächtige Bulle von einem Kerl, der den Damen von Beirut ihre Blumen in Papier wickelte.
    Bald nach Rogers’ Ankunft begann im moslemischen West-Beirut die Herbstsaison. Die Geschäfte auf der Place des Canons waren mit glitzernden Lichtern hell erleuchtet, und eine Flutwelle von guter Laune trug die ganze Stadt mit sich fort. Dies war die Zeit, in der man ununterbrochen Partys gab: Ein prominenter libanesischer Arzt, der für Aramco arbeitete, veranstaltete im Hotel Phoenicia ein Abschiedsfest für sich selbst. Er verließ das Land, der arme Mann, um nach Saudi-Arabien zu gehen, und erhielt von allen Seiten Beileidsbekundungen. In Koreitem, einem sunnitischen Viertel, begannen die moslemischen Damen des Beiruter Frauen-College mit den Proben für ihr alljährliches Konzert mit weihnachtlicher Musik, während der Internationale Frauenclub von Beirut mit einem ähnlich ökumenischen Geist seine Herbsttour durch Kirchen und Moscheen plante.
    Auf der Rue Hamra, dem großen Boulevard des neuen Beirut, drängten sich die Kauflustigen und spähten durch die Schaufenster auf die aktuelle Mode aus Paris, die Schuhe aus Italien, die Bücher aus London und New York. Das war das Viertel, in dem das neue Geld des Libanon herrschte und wo die Mittelschicht hinströmte, um sich Chic, Kultur und Ansehen zu kaufen. In den Geschäften sprach man Französisch, vielleicht etwas Englisch, aber mit Sicherheit nicht Arabisch. Das Arabische repräsentierte eine Kultur, der die Libanesen mit aller Gewalt zu entkommen versuchten.
    «Les déracinés» nannten die alten Feudalherren die jungen Männer gerne, die von den Bergen heruntergekommen waren, um dieses neue Beirut zu bauen. Die Entwurzelten. Sie bewohnten eine Stadt, die ihre Leinen losgemacht hatte und jetzt glücklich und selbstvergessen in die Zukunft trieb.
     
    Das Beirut des Jahres 1969 war eine Grenzstadt. Seine Einwohner sahen sich gerne als den letzten Außenposten Europas, obwohl das Land auf dem asiatischen Kontinent liegt, an der Grenze von Orient und Okzident. Die Stadt war ein Schmelztiegel, in dem zwei Kulturen – die östliche und die westliche – aufeinandertrafen und wie das Aufeinanderprallen zweier Meeresströmungen einen dampfenden und sinnenfrohen Strudel bildeten.
    Da sie an der Grenze lebten, spürten die Libanesen die Erschütterungen der sechziger Jahre aus beiden Richtungen. Die arabischen Zeitungen berichteten pausenlos und ekstatisch über die neuesten unglaublichen Meldungen aus Amerika: Ein Mensch auf dem Mond. Der Mord an Sharon Tate. Hippies. Vietnam. Die Schlagzeilen vermittelten einem ein Gefühl des Umbruchs und der Rebellion im Nabel der Welt, was den Menschen an der Peripherie sowohl ein Gefühl der Macht als auch des Schreckens einflößte; als wären sie
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