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Oneiros: Tödlicher Fluch

Oneiros: Tödlicher Fluch

Titel: Oneiros: Tödlicher Fluch
Autoren: Markus Heitz
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selbst wenn sie nicht offen aufgebahrt wurden. Die Männer erhielten dazu noch eine Rasur, Frauen wurden geschminkt. Fotos, die ihnen die Angehörigen übergaben, dienten dabei als Vorlage.
    War eine offene Aufbahrung gewünscht und es verstrichen Tage zwischen Todeszeitpunkt und Bestattung, kamen Konstantins Künste der Thanatopraxie zum Einsatz. Deswegen verfügte der rechte Tisch über ein Pumpsystem, mit dem das Blut der Verstorbenen aus dem Körper entfernt und eine spezielle, rosa gefärbte Flüssigkeit in die Arterien geleitet wurde, die bis in die kleinsten Blutgefäße drang. Durch die rosa Flüssigkeit bekam der Verstorbene seine natürliche Hautfärbung zurück. Die Chemikalienmischung, die Konstantin selbst zusammenstellte, bestand zu einem gewissen Prozentsatz aus Formaldehyd, das den Verwesungsprozess aufhielt.
    Vereinfacht ausgedrückt, machte er die Leichen haltbar, so dass sie nicht mehr auf Kühlung angewiesen waren und sogar extremste Wetterbedingungen überstanden. So konnten Verwandte und Freunde am Sarg defilieren, ohne von Gerüchen oder anderen Auflösungserscheinungen belästigt zu werden.
    Konstantin sah auf die Liste der Toten, die für heute anstanden, und überflog die Information zu dem ersten Namen darauf.
Das wird ein leichter Fall. Genau richtig für einen Montagmorgen.
    Er ging in die Kühlkammer und schob die Bahre mit Gerd Pamuk, einundachtzig Jahre, in das Behandlungszimmer.
    Er vermutete, dass der alte Mann einen friedlichen Tod gehabt hatte. Maik hatte den Körper gestern aus einem Seniorenheim abgeholt. Herzinfarkt, konstatierte der Totenschein, kurz nach dem Kaffeekränzchen. Die Leiche war in den obligatorischen Plastiksack eingepackt und schräg gelagert, mit den Füßen abwärts, damit das Blut nicht in den Kopf lief und seine Züge blau verfärbte.
    Gerd Pamuks Verwandtschaft hatte den Wunsch geäußert, den alten Herrn nochmals zu sehen. Im offenen Sarg. Heute Vormittag sollte das geschehen, in Trauersaal eins des
Ars Moriendi,
also richtete Konstantin ihn her. Und das mit größtem Respekt.
    »Schauen wir mal, wie viel ich zu tun habe.« Er öffnete den Sack.
    Dünne, silberne Haare erschienen zuerst, es folgte eine hohe, faltige und gebräunte Stirn, buschige Augenbrauen, dann der Rest eines freundlichen Greisengesichts. Der Tote wirkte mit seiner bleichen, wächsernen Haut regelrecht puppenhaft. Die Augen waren geschlossen, der Mund leicht geöffnet. Süßlicher Geruch stieg aus dem Plastiksack auf. Zersetzungsbakterien arbeiteten schnell, trotz der Lagerung bei fünf Grad.
    Gerd Pamuk war geradezu zierlich, der runzlige Körper mit wenig Fleisch versehen. Also konnte Konstantin ihn problemlos alleine auf den Behandlungstisch hieven. Durch die Steifheit des kühlen Leibs, die
rigor mortis,
wurde es noch einfacher.
    Dabei bemerkte Konstantin eine alte Tätowierung am linken Oberarm. Blassblau und grob gestochen, segelte ein Zweimaster über die zerknitterte Haut, darunter stand ein unleserlicher Name. Vielleicht war Gerd Pamuk einmal Seemann gewesen, mit einem Mädchen in jedem Hafen? Immer an Deck, bei Wind und Wetter. Zwei uralte Einschussnarben in der linken Schulter ließen den Schluss zu, dass er im Zweiten Weltkrieg gekämpft hatte. Der betagte Skipper war von Bord des Lebensschiffes gegangen.
    Ob er es zu schätzen gewusst hat, dass er sterben durfte?
Vermutlich war Pamuk der Tod ungelegen gekommen, mitten beim Tanztee und umringt von Damen, die sich an dem rüstigen Rentner erfreuten.
    Es klopfte an der Tür.
    »Kommen Sie«, rief Konstantin und sah gespannt zur Schwingtür. Er hatte die Schritte in der Umkleide gehört und gewusst, dass es nicht Mendy Kawatzki war. »Ich hoffe, Sie sind bereits umgezogen?«
    »Bin ich, Herr Korff«, erfolgte die Antwort. Herein trat ein junger Mann mit schwarzgefärbten Haaren, einem Nasenpiercing, je vier Ringen in den Ohrmuscheln und Kajal um die Augen. Ein Gothic, von denen es in Leipzig einige gab. Sein Alter lag bei etwas über zwanzig. »Mein Name ist Jaroslaf Schmolke«, stellte er sich vor. »Ich muss mich für meine Verspätung entschuldigen. Mein ehemaliger Arbeitgeber hatte vergessen, mir das Zeugnis zu schicken.«
    Na wunderbar.
Konstantin seufzte innerlich. Gerd Pamuk lag auf dem Tisch wie eine Barrikade zwischen ihm und seinem möglichen Azubi. »Nehmen Sie mir die Frage nicht übel, aber Sie sind nicht zufällig Fan von
SixFeetUnder
oder
NavyCIS?
« Seit es solche Serien gab, hatte ein Bewerberansturm auf die
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