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Oneiros: Tödlicher Fluch

Oneiros: Tödlicher Fluch

Titel: Oneiros: Tödlicher Fluch
Autoren: Markus Heitz
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Gerichtsmedizin begonnen, und auch das
Ars Moriendi
bemerkte eine steigende Nachfrage nach Ausbildungsstellen. Die meisten Bewerber gaben jedoch bei der harten Tour auf. »Sie sollten keine falschen Vorstellungen von diesem Beruf haben.«
    Jaroslaf blieb ungerührt; auch der Anblick des Toten schien ihm nichts auszumachen. »Nein, Herr Korff. Ich nehme an, Sie spielen auf die Forensikerin bei
NavyCIS
an, die den Quotengrufti mimt? Ich kann Ihnen versichern, dass mein Interesse an diesem Beruf keine Modeerscheinung ist oder ich ein Klischee bedienen möchte.«
    Reden kann er.
Konstantin hatte schon mit den schrägsten Vögeln zu tun gehabt, von ehemaligen Metzgern bis hin zu esoterisch angehauchten Yogalehrerinnen, die bei ihm anfangen wollten. Er bedeutete ihm, näher zu kommen. »Sie waren nach der Schule zunächst in einem anderen Beruf tätig?«
    »Rettungsdienst. Ich kenne den Anblick eines menschlichen Körpers in verschiedenen Zuständen.« Jaroslaf lächelte. »Der Herr hier sieht im Vergleich zu einem Motorradunfall noch sehr gut aus.«
    Konstantin nickte, und Hoffnung keimte in ihm auf, endlich einen guten Anwärter gefunden zu haben. »Sie können mir ein wenig zur Hand gehen, und wir reden dabei.« Er besprühte den Körper des Toten mit einem Desinfektionsmittel und schob eine Stütze aus Plastik in den Nacken. Von Jaroslaf ließ er sich Watte um eine Pinzette wickeln und in Alkohol tauchen, damit reinigte er Pamuks Ohren. Mit zwei weiteren alkoholgetränkten Wattebäuschchen fuhr er unter den weißen Wimpern und unter den Fingernägeln entlang. Augenhöhle, Nase und Mund wurden ebenso gründlich behandelt, um jede Verunreinigung zu beseitigen. Sonst bildeten sich Keime, die für üblen Geruch sorgten. Er bemerkte, dass die Zahnprothese locker saß. »Sie haben eine Ausbildung bei einem meiner Kollegen abgebrochen, wie ich las?«
    »Ja. Er war nicht gut genug.«
    »Ah. Und wieso denken Sie das?«
    »Er ist nachlässig und kann mir nicht die Kenntnisse in Thanatopraxie vermitteln, die mich interessieren. Sie dagegen, Herr Korff, gelten als der beste Thanatologe in Deutschland und, soweit ich weiß, auch in Europa.«
    Konstantin lächelte. »Wer sagt so etwas?«
    »Es steht in Fachzeitschriften. Sie werden immer dann gerufen, wenn ein Fall besonders schwer ist oder andere Ihrer Zunft eine Einbalsamierung mit vorangehender Rekonstruktion abgelehnt haben.« Jaroslaf sprach ruhig, aber überlegt. Eine unaufdringliche, angenehme Stimme.
    Konstantin betätigte die Handbrause und spritzte kaltes Wasser über den Toten. Warmes Wasser begünstigte Bakterien. »Holen Sie mir bitte das Bild von Herrn Pamuk, das auf der Ablage liegt«, wies er Jaroslaf an und tupfte das faltige Wachsgesicht mit einem weichen Schwamm ab. Er wusch die weißen Locken mit ein wenig Shampoo, spülte sie behutsam aus und knetete sie mit einem Handtuch trocken. »Stellen Sie sich dahin und halten Sie das Bild.« Konstantin frisierte die Haare wie auf dem Foto, der Föhn übertönte das nächste Lied von Lambda, das sich passenderweise
Charon
nannte. »Das ist genau mein Lied. Warum wollen Sie das Handwerk der Thanatopraxie erlernen? In Deutschland ist die Aufbahrung von Toten nicht weit verbreitet. Sie schwankt zwischen fünf bis zehn Prozent, wie Sie bestimmt schon wissen«, fragte er, als er den Föhn ausschaltete.
    »In England sind es neunzig Prozent«, kam es von dem jungen Mann wie aus der Pistole gefeuert. »Ich denke daran, nach ein paar Berufsjahren ins Ausland zu gehen. Dorthin, wo es warm ist und ich gebraucht werde.«
    Clever ist er auch.
Konstantin hatte ein sehr gutes Gefühl bei diesem Bewerber, der anatomische Vorkenntnisse und Ehrfurcht mitbrachte, aber genug Wissensdurst besaß, um sich selbst fortzubilden. »Was wissen Sie über den Ursprung der Thanatologie?«
    Jaroslaf schien mit der Frage gerechnet zu haben und antwortete, ohne zu zögern. »Jean Nicolas Gannal, französischer Offizier und Chemiker, geboren 1791 in Saarlouis. Abgesehen von einigen anderen Erfindungen, wurde er für seine Einbalsamierungsmethoden berühmt.«
    »Wie kam es dazu?«
    »Er wollte tote Soldaten nicht mit grausamen Verstümmelungen oder Entstellungen zu ihren Verwandten zurückschicken. Es ging darum, einen geliebten Menschen in guter Erinnerung zu behalten und nicht als verwestes, zerfetztes Stück Fleisch.«
    Konstantin nickte beeindruckt.
Das könnte was werden.
Er massierte behutsam die Wangen des Toten von den Schläfen zur Mitte hin, um
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