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Oneiros: Tödlicher Fluch

Oneiros: Tödlicher Fluch

Titel: Oneiros: Tödlicher Fluch
Autoren: Markus Heitz
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Haar, das schütter und wirr auf seinem Kopf lag, sowie tiefe Ringe um die hellblauen Augen. Er schien lange nicht geschlafen zu haben. »Monsieur, ich sage meinen Kolleginnen Bescheid.«
    Der Mann ließ sie nicht los, seine Augen starrten eindringlich. Unbeweglich. »Bitte richten Sie ihnen aus, dass er sehr, sehr stark sein muss«, raunte er heiser und rieb sich mit der freien Hand über das bleiche Gesicht. Ein dünner Schweißfilm überzog die hohe Stirn.
    Christine sah, dass auf dem heruntergeklappten Tisch vier leere Dosen Energiedrinks standen, und die bräunlichen, ringförmigen Spuren auf der ansonsten sauberen Plastikfläche verrieten, dass er bereits Kaffee getrunken haben musste. »Das tue ich sofort, Monsieur. Würden Sie mich bitte loslassen?«
    »Stark! Das ist wichtig!« Sein Blick flackerte, dann senkte der Mann die Augen und fixierte die Dosen. »Verzeihung«, flüsterte er und löste die Finger von Christines Arm. Dann sank er in sich zusammen, was wohl als eine Art Entschuldigung dienen sollte; sein anschließendes Gemurmel verstand sie nicht.
    Christine setzte ihren Weg fort und beschloss, den Namen des Mannes auf der Passagierliste zu prüfen, sobald sie zurückkam. Das war kein normales Verhalten. Außerdem sah er nicht aus, als würde er in die Business-Class gehören. Am Ende hatte sie es mit einem Junkie zu tun, der es vor Entzug nicht mehr aushielt und kurz vor der Landung ausrastete. Oder während der Landung.
    Sie richtete im Gehen ihre marineblaue Jacke, das in einem helleren Ton gehaltene Halstuch sowie die Brosche mit ihrem Air France-Emblem und betrat das Reich der
Voyageurs,
wo die Passagiere im 2 - 4 - 2 -Sitzsystem nebeneinandersaßen, ohne beengt zu sein. Kein Vergleich zu den alten Maschinen.
    Sitz 81 . Hellwach, schlecht gelaunt und eine Brechtüte in der Hand. Er redete auf seine Nachbarn ein, eine junge Frau mit ihrem Sohn rechts und ein Orientale links, die nickten, aber nichts antworten konnten, weil er unermüdlich erzählte. Gestikulierte. Sich echauffierte.
    Christine analysierte ihn blitzschnell. Akzent: Italiener. Garderobe: um die fünfhundert Euro, ohne den Goldschmuck. Kategorie: geiziger Geschäftsmann, Angeber und
cazzo.
    »Monsieur?« Sie bleckte die Zähne und präsentierte ihr »Leck mich am Arsch«-Lächeln, das unverzichtbar zum Repertoire einer guten Stewardess gehörte. Eine Beleidigung, die keine war.
    Sein schwarzer Lockenkopf zuckte herum, das leichte Doppelkinn wippte. Er war höchstens Mitte dreißig, aber eine
bella figura
machte er nicht. Eine leichte Alkoholfahne umgab ihn. »Si?«
    »Monsieur, meine Kollegin sagte, dass Sie sich unpässlich fühlen. Was darf ich Ihnen zur Linderung bringen? Kohletabletten oder …«
    »
Porca miseria!
Mir ist zum Kotzen, weil ich von diesem Franzosenfraß gegessen habe!«, stieß er auf Englisch hervor und machte eine sehr italienische Handbewegung dazu, die sagen sollte: Mit Alitalia wäre das nicht passiert. »Verspätung haben wir auch«, setzte er hinzu, als wäre die Unpünktlichkeit des Flugs Schuld an seinem Zustand.
    Die Passagiere in seiner Reihe verdrehten die Augen, der Junge spielte gelangweilt mit einem bunten Stift mit einer kleinen Leuchtdiode herum. Der Orientale hatte eine Sauerstoffflasche vor sich abgestellt, ein durchsichtiger Schlauch führte von dort unter das Hemd und kam am Hals wieder zum Vorschein. Zwei dünne Enden ragten in seine Nasenlöcher.
    Christine beugte sich nach vorne. »Monsieur, ich bedaure Sie außerordentlich. Unser Kapitän hat bereits alles versucht, um den Zeitverlust zu minimieren.« Christine warf den Sitznachbarn entschuldigende Blicke zu, die sich auf den Umstand bezogen, dass ausgerechnet sie diesen Passagier ertragen mussten. »Was das Essen angeht, so haben mir meine Kolleginnen zugetragen, dass Sie unter Umständen etwas viel durcheinander zu sich genommen haben. Darf ich Ihnen vorschlagen …«
    Er verzog das Gesicht. »Haben
Sie
gerade gesagt, dass
ich
selbst schuld bin, dass ich kotzen muss und mein Darm mich alle paar Minuten auf das Klo zwingt?« 81 warf die Hände in die Luft, das Goldkettchen am rechten Handgelenk klirrte leise und funkelte im Licht der Leselampe. Den eingravierten italienischen Spruch konnte Christine nicht lesen. »Das muss ich mir nicht bieten lassen! Ich habe viel Geld bezahlt und werde dafür vergiftet!«
    Christine atmete tief ein und richtete sich auf. Ihr Lächeln wurde noch breiter und verachtender. »Monsieur, bitte beruhigen Sie
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