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One: Die einzige Chance (German Edition)

One: Die einzige Chance (German Edition)

Titel: One: Die einzige Chance (German Edition)
Autoren: Tobias Elsäßer
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vielleicht war die Liebe, die große Liebe, wie sie in kitschigen Filmen gezeigt wurde, auch nur eine Illusion.
    »Hey, was ist mit dir?«, fragte Kata und wich zurück.
    »Sorry.« Samuels Lächeln wirkte aufgesetzt. »War nur in Gedanken.«
    »Eine andere Frau?« Sie kniff die Augen zusammen.
    »Quatsch.« Er zog sie heran, küsste sie lange und zärtlich, bis das Rattern einer kaputten Snaredrum den nächsten Song ankündigte. Zwar mochte Samuel den Hype nicht, den man um die Band mit den Marionetten machte, aber der Sound war außergewöhnlich. Er transportierte eine Mischung aus Melancholie und Zuversicht. Verstimmte Klaviermelodien verbanden sich mit mehrstimmigem Gesang. Das Schlagzeug klapperte, als hätte man es irgendwo in einem Keller aufgenommen. Manche Stücke dauerten acht, neun Minuten. Eigentlich zu lange für das Radioprogramm, aber die Sender hatten sich dem Willen der wachsenden Fangemeinde gebeugt.
    In times of change
    You’re forced to swim
    In times of love
    You’re forced to sing
    In times of hate
    Catch up with friends
    That’s all, that’s all
    That’s all, that’s all
    »Jetzt ist aber gut.« Samuels Freund schnalzte mit der Zunge. Das Smartphone in seiner Hand leuchtete auf. Auf dem Display erschienen grellweiße Gestalten, eine wogende Meute, die zu Psychedelic-Jazz-House in die Luft sprang. »Die andern sind im Soho’s. Sieht cool aus. Haben uns den Code geschickt. Ich streck euch die Kohle für den Check-in vor.« Er tippte auf das Display. Sein Fingerabdruck wurde gescannt und der abgebuchte Betrag in Dollar angezeigt. »Der Club hat heut Abend sogar Wasserbetten.« Er hielt Samuel die Hand hin. »Das haben wir uns verdient.«
    »Ja, das haben wir uns verdient.«
    In Hongkong war es normal, dass die Clubs regelmäßig ihre Location wechselten. Manchmal für eine Woche, manchmal auch nur für eine Nacht. Dann war es besonders schwer reinzukommen. Ohne Einladung war man ohnehin aufgeschmissen. Je schäbiger die Orte waren, an denen die Partys stattfanden, desto mehr mussten die Kunden dafür bezahlen. Hinter baufälligen Fassaden öffnete sich eine Glamourwelt, in der sich die Reichen und Schönen auf bizarre Weise am dauerhaften Wandel, dem ständigen Zerfall und Wiederaufbau Hongkongs, ergötzten. Die kaputte, düstere Seite der Stadt wirkte wie ein Magnet auf den internationalen Geldadel, der ansonsten in abgesicherten Ghettos mit All-inclusive-Service den Feierabend verbrachte. Schon der Weg zum Event war ein Abenteuer. Die Geisterbahn öffnete sich und manchmal kam es tatsächlich vor, dass ein Ungeheuer aus der Finsternis hervorstürzte und mit vorgehaltener Waffe Wegzoll verlangte. Seltsamerweise wurde nur selten geschossen. Die Fahrer der Limousinen waren dazu angehalten, mit wehenden Scheinen auszusteigen. Ein Bündel davon bekamen sie vor jedem Einsatz zugesteckt. Somit waren die Überfälle keine richtigen Überfälle, sondern Teil des Spiels.
    Der schwarzhaarige Junge klopfte gegen die Trennscheibe und hielt sein Handy dagegen. Der neue Bestimmungsort flackerte in chinesischen Schriftzeichen auf. Der Fahrer nickte und bog bei der nächsten Kreuzung ab. Auf der linken Seite, zwischen einer gigantischen Leuchtreklame von Esprit und einer kantigen Skulptur, die sich dem Nachthimmel entgegenstreckte, tauchte das Hochhaus von HSBC auf. Neben Rolltreppen und Betonpfeilern campierten seit Monaten die Gegner der Großbank. Zelte, Plakate, ein Altar mit rußenden Kerzen und Plastikblumen. Zwei Demonstranten hatten sich mit Benzin übergossen und angezündet. Es war zu Krawallen gekommen. Die Ordnung der Stadt war kurz aus den Fugen geraten, doch jetzt war alles wieder unter Kontrolle.
    »Schaut euch diese Idioten an«, sagte der Junge. »Haben die immer noch nicht genug?«
    Ein Polizist winkte die Limousine durch die Absperrung. Samuels Handy läutete. Derselbe kratzende Klingelton wie im Arbeitszimmer seines Vaters. Er hatte ihn aufgenommen und abgespeichert. Nicht etwa, weil er ihn mochte, sondern weil er sich von der Masse an gleich klingenden Klingeltönen unterschied. Kata hielt sich die Ohren zu und jammerte: »Geh ran!«
    Samuel grinste und ließ seinen Daumen provozierend lange über dem Display kreisen, bevor er den Anruf entgegennahm. Die Stimme seiner Mutter drang in bester Qualität durch die Leitung. Bis nach London waren es knapp zehntausend Kilometer, doch die digitale Verbindung ließ diese Entfernung auf wenige Zentimeter schrumpfen. »Eure Telefonanlage spinnt
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