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Oliver und Kevin

Oliver und Kevin

Titel: Oliver und Kevin
Autoren: Matthias Goosen
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sie nicht einmal die Konstantinopel an ihrem Ankerplatz anmachen konnten. Die Konstantinopel ist türkisblau, eckig und kantig, und erinnert an einen Opel Kadett. Macht aber ihrem Namen alle Ehre, wenn sie auf den Wellen so aussieht, als würde sie bekriegt werden und gleich untergehen. Sie ist ein solider kleiner Kahn, vier Meter sechzig lang und mit doppelwandigem Rumpf, was ganz beruhigend wirkt – im angesichts des Namens – auf diesem klippenreichen Meer.
      „Kalt ist es nicht“, sagt Oliver laut, nachdem er die Terrassentür geöffnet hat und ein Windstoß ihn fast in die Knie gezwungen hätte.
      Wenn es regnet, ruft Oliver: „Es ist wenigstens nicht so kalt…“ Wenn es kalt ist und es regnet, sagt er: „Der Regen hält das Meer schön flach, wir werden mit dem Reusen keine große Mühe haben.“ Und wenn es regnet, kalt ist und stürmt, dann sagt er nichts und Kevin sagt dann auch nichts, weil jedes weitere Wort Oliver verärgern könnte Kevin kennt Oliver schon sein Leben lang – so kommt es ihm zumindest vor.
      Kevin dreht sich im warmen Bett um und betrachtet Oliver, der draußen auf dem Balkon steht. Ihm ist nicht entgangen, dass er sich in den letzten Tagen häufiger einsam fühlt. Kevin weiß aber nicht recht, ob es die Einsamkeit ist, die Oliver plagt. Zuerst hatte er sich gedacht, dass er seiner Person überdrüssig geworden ist, weil er doch ständig bei ihm ist. Und als er vorgeschlagen hatte, einmal allein in die Stadt zu fahren, war Oliver drei Tage lang beleidigt und sagte Dinge wie: „Willst du mich verlassen?“, „Bin ich dir nicht mehr gut genug?“, „Suchst du eine andere Gesellschaft?“ Deswegen weiß Kevin, dass Oliver gern bei ihm ist oder sich an seine Person gewöhnt hat und niemanden sonst an seiner Seite haben will. Schon eigenartig, denkt sich Kevin, dass er auch noch im Alter, die Zuneigung von Oliver haben will und ihn nicht loslassen möchte.
      Doch es macht ihn traurig, zu sehen, wie sein Freund traurig und einsam aufs Meer hinausblickt.
     
    *
     
    Oliver und Kevin gehen gemeinsam einen Stock tiefer, des gemieteten Hauses. Oliver holt aus dem Kühlschrank Brot und Butter heraus und Kevin macht einen Kaffee. Oliver sagt, er möchte heute einen stärkeren trinken, weil er schlecht geschlafen hat. Kevin nickt und geht auf die Toilette.
      Heute früh gibt es nichts Besonders zu melden. Eine einfach Ausrüstung genügt: Unterwäsche, Leinenhose, Matrosenhemd, Ölzeug und Wollmütze. Kevin spürt einen stechenden Schmerz in drei Fingern, ein Zeichen dafür, dass es feucht ist. Seine beiden Zeigefinger sind sowieso schon gekrümmt; wenn sie nach Süden zeigen wollen, deuten seine Fingerspitzen nach Osten und der linke Daumen ist geschwollen und knorrig. Eines Tages wird er Hände wie Schlingpflanzen haben, so verbogen und verknotet.
      Die eiskalte Luft dringt in die Gelenke ein und hinterlässt gichtartige Schmerzen. Diese Luft weigert sich, Wäsche zu trocknen, setzt mit ihrem Salz der Vegetation zu und lässt die Leintücher in den Schränken verschimmeln.
      Kevins getönte Haare verwandeln sich langsam zu einer grauen Masse. Es lohnt sich nicht, dagegen anzukämpfen, Wind und Regen sind absolute Herrscher. Und weit draußen auf dem Meer liegt irgendetwas in der Luft, was jede Anstrengung bremst. In der ersten Woche versuchte Kevin noch hartnäckig sein Pflegeprogramm durchzuhalten, aber schon nach wenigen Tagen auf See ist man erfolglos und man lässt sich von der Natur verunstalten. Zu feilen braucht er die Fingernägel auch nicht, da sie sowieso einreißen. Am Abend werden sie radikal geschnitten, bevor das Buch Der alte Mann und das Meer von Hemingway gelesen wird – zum fünften Mal!
      Beim Frühstück hat Oliver seine fünf Morgentabletten geschluckt. Dazu ist er seit zwei Jahren verurteilt und man muss zugeben, dass das Entwässerungsmittel, zumindest ein paar Stunden lang, beeindruckend wirkt.
      Kevin hingegen braucht zum Kaffee noch einen Tee, weil er irgendwo gelesen hat, dass das gesünder sei, als nur bloßen Kaffee zu Frühstück zu trinken.
    Bereits am frühen Morgen nehmen Kevin und Oliver einiges an Plagen in Kauf. Allein sich für das Fischen anzuziehen ist schon eine Prüfung: das steife, feuchte Ölzeug überzustreifen oder die dicken wollenen Matrosenjoppen, die nach Fisch stinken, anzuziehen, dazu kommen noch die schweren Stiefel, die aber für den Halt wichtig sind. Oliver sieht noch ganz ansehnlich aus mit seinem kahlrasierten
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