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Oliver und Kevin

Oliver und Kevin

Titel: Oliver und Kevin
Autoren: Matthias Goosen
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Kopf, der von der Kapitänsmütze verdeckt wird. Er rasiert sich freilich nicht an diesem Morgen, weil er glaubt, die Bartstoppeln machen ihn sexy und sein Look gefiele Kevin. Kevin hingegen gleicht mit seiner unschönen Wollmütze und dank der vielen Tinkturen, die er sich seit Jahren auf die Kopfhaut schmiert, damit er die volle Lockenpracht nicht verliert wie ein gealterter Schiffsjunge aus.
      „Mein Matrose“, sagt Oliver, kommt neckisch an Kevin heran, der sich gerade die letzte Schicht an Pullover übergezogen hat und küsst ihn. Kevin lächelt über sich und seinen überdurchschnittlichen Hang nach Schönheit. Er weiß natürlich, dass seit Jahren schon die vielen Mittelchen und Cremes, die er sich tagtäglich auf die Haut panscht nichts mehr helfen. Kevin ist alt (geworden). Das war nicht immer so.
      Kevin erwidert den Kuss und denkt sich, dass er stolz darauf ist, so lange schon eine Beziehung mit Oliver zu führen. Seit fünfundzwanzig Jahren sind sie schon ein Paar und keinen Tag davon möchte er missen.
      Nach dem kargen Frühstück, Seemänner brauchen nicht viel, gehen sie mit geduckten Gesichtern zu einem dunkelgrünen Schlauchboot, das vor dem gemieteten Haus auf einem Bootssteg anliegt. Kevin zieht es näher an den Steg heran. Merkwürdig – letztes Jahr war das Ding nicht so schwer … Dann befestigt er das Holzbänkchen, das er machen hat lassen, um nicht auf dem Boden sitzen zu müssen, und montiert die leichten Aluminiumruder und los geht’s auf dem Seeweg zur Konstantinopel , die ein paar hundert Meter vom Ufer entfernt vor Anker liegt.
      An dem Rumpf des türkisfarbenen Kahns angedockt, muss Kevin sein Herzklopfen kontrollieren. Seit ein, zwei Jahren ist das der Prüfstein für ihn: vom kleinen Boot in den Kahn überzuwechseln, dabei die auseinanderstrebenden Bewegungen zu kontrollieren und den immer drohenden Schwindelanfall zu beherrschen. Wenn er das eines Tages nicht mehr in den Griff bekommt, wird er nicht mehr mit auf See fahren können, das weiß er. Noch versucht er es, und gibt sein Bestes. Das nächste Fortbewegungsmittel wird dann nur noch das Gehwägelchen sein. Also muss es dieses Jahr noch gehen. Und nächstes und übernächstes Jahr auch noch. Solange es eben geht. Er möchte nicht, dass Oliver seine Leidenschaft für ihn opfert, denn er weiß, dass sein Freund nicht ohne ihn sein will.
      Letztes Jahr noch hat es genügt, das rechte Bein weit genug hochzuheben, um auf die Konstantinopel zu gelangen, heute – Oliver spürt die gichtartigen Krämpfe wieder stärker – wird er mehr als nur sein Bein hochschwingen müssen, er wird mit seinem ganzen Körpereinsatz arbeiten müssen, um auf das Boot zu gelangen. Oliver ist um vier Jahre älter als Kevin und wenn er einmal nicht mehr kann, möchte er Kevin seine Leidenschaft, auf See angeln zu gehen, nicht nehmen. Oliver erinnert sich, als Kevin vor ein paar Tagen mit der Idee ankam, alleine etwas zu machen. Aus allen Wolken hätte er fliegen können, so erschrocken hatte er sich. Was denkt sich Kevin eigentlich? Nur weil er Pionierarbeit an seinem Gesicht leistet und sich hegt und pflegt wie eine nie alternde Madonna oder Cher wird er doch keinen anderen Mann finden wollen? Einen jüngeren, anderen Mann wird er nicht mehr finden, davon bin ich überzeugt. Eifersüchtig hat er mich gemacht und deshalb werde ich ihm zeigen, wie gut ich noch in Form bin. Pass nur auf. An Land kann ich zwar noch mogeln, wenn es um die Spannkraft meines Körpers geht, aber auf dem Boot muss alles passen, da muss jeder Handgriff sitzen und der sitzt bei mir wie am ersten Tag. Draußen auf See kann ich Kevin beeindrucken, dort hat alles seine Ordnung, Arme und Beine funktionieren, es kann kein anderes Glied dafür einspringen.
      Ich liebe dich, Kevin, auch wenn ich es nicht immer sage, so weißt du es doch.
     
    *
     
    Im wackligen Schlauchboot stehend, ruft sich Kevin zur Ordnung; Oliver ist schon längst auf der Konstantinopel und Kevin wird ihm folgen. Aber dann bespringt ihn ein leichtes Schwindelgefühl, ausgelöst durch eine herankommende Welle. In solchen Fällen darf man keine Sekunde verlieren. Die Schwierigkeit kann man umgehen, indem man ein Knie über den Bootsrand hängt. Das sieht zwar bescheuert aus, aber höchstens die Möwen können es sehen und der beste Freund, der einen feixend ansieht. Danach das zweite Knie … und zack, schon ist man oben. Na ja, von wegen zack , eher schon hoppla! Hauptsache, man ist überhaupt an
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