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Oliver - Peace of Mind

Oliver - Peace of Mind

Titel: Oliver - Peace of Mind
Autoren: Nicole Schroeter
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nie wieder einen Freund haben. Ich fühlte mich, als
hätte man mich ein halbes Jahr lang vergewaltigt, und Oliver sah mich an, als
hätte mir das Spaß gemacht.

  Juni 2012
     
    Ich habe mal wieder einen freien Tag und nutze ihn, um Betty aufzusuchen.
Ich will ihr das Fotoalbum zurückgeben. Diesmal muss ich nicht gleich weinen.
Ein Glück! Wir machen Konversation und vermeiden, das heiße Eisen anzufassen.
Nur langsam arbeiten wir uns zu dem eigentlichen Grund unserer Zusammenkünfte
vor. Wir sind keine Freundinnen. Ich bin Ollis erste Freundin und sie ist seine
Mutter. Es ist sein Tod, der uns verbindet.
     
    Betty hat Mandelhörnchen und Mohnkuchen besorgt. Beides esse ich gern.
Sie erzählt mir von den Jahren, die ich versäumt habe, und wie er starb. Und
ich kann es nicht wirklich an mich heranlassen, was ich da höre. Es ist wie
eine Geschichte, die jemand erfindet und mir dann erzählt. Das, was ich höre,
passt weder zu dem, was ich in Bettys Umgebung sehe, noch zu dem, was ich
erinnere und fühle.
     
    Betty holt einen dicken Ordner aus dem Schrank und legt ihn mir in den
Schoß. Während ich die vollgeschriebenen Seiten in seiner Handschrift nur
flüchtig durchblättere, erzählt Betty mir, dass er all diese Briefe an sie
geschrieben hat, als er „zur Kur“ war. Und dennoch würde sie ihn nicht kennen.
Es stünden nichts als Belanglosigkeiten darin.
    Die Wurzel allen Übels hatte keiner von beiden je gewagt, auch nur
anzusehen. Nun ist es zu spät. Die Schuld hängt wie eine zähe, schwarze Wolke
im Raum.
    Schnell erzählt Betty mir, dass Ralf, Olivers Vater, oder Erzeuger, oder
wie man ihn nennen will, ihr nie geholfen habe. Immer sei sie allein gewesen,
mit den beiden Jungs. Von morgens um vier Uhr, bis abends spät habe sie
gearbeitet, während er sich nur um seine schicken Autos gekümmert habe. Als
Oliver zwanzig gewesen sei, und sein Drogenkonsum erstmals außer Kontrolle
geriet, da habe sie ihn um Hilfe gebeten. Vater Ralf aber, wollte sich mit so
was nicht die Hände schmutzig machen. Er habe sich seither nie wieder gemeldet.
Es ginge ihn also auch nichts an, dass ihr Sohn Oliver tot sei.
     
    Wir wechseln das Thema und sie zeigt mir ihre Tattoos: Guns n’Roses
zieren Rücken und Oberarm. „Zweimal am Tag musste Oliver kommen und mir den
Rücken eincremen. Und an dem Tag, an dem ich ihn das letzte Mal sah, da hat er
mir noch diese Zeitschrift hier,“ sie bückt sich und greift in das Fach unter
der Glasplatte des Wohnzimmertisches. „Die hat er mir extra mitgebracht, weil
da ein Artikel über die Band drin steht.“ Sie zeigt auf das Erscheinungsdatum:
Januar 2009 steht darauf, und wir müssen beide weinen.
     
    Dann machen wir uns doch noch auf, zu einer Spritztour mit ihrem Auto. Endlich
bringt sie mich zu Olli. Sie lenkt den Wagen durch zahllose Straßen. Dieser
Teil der Stadt ist mir gänzlich unbekannt. Ich muss den Weg später unbedingt
googlen. Damit ich Ollis Körper auch allein wiederfinden kann.
    Zehn Minuten später stehen wir vor einem großen glänzenden Grabstein aus
anthrazitfarbenem Marmor. Ein Grab wie jedes andere. Ich hatte eine Rose
mitbringen wollen. Aber Betty hat schon ein Gesteck in Herzform aus
Rosenköpfen, eine Bepflanzung in Herzform und einen Strauß langstieliger roter
Rosen auf dem Grab deponiert.
     
    Dann lese ich die Innenschrift des Steines, das Geburts- und das
Sterbedatum, und nur ganz langsam dämmert mir, dass zu meinen Füßen der große,
schöne Körper meiner Jugendliebe liegt und verrottet. Es ist ein Gedanke, der
einfach nicht von meinem Verstand angenommen werden will. Es kann einfach nicht
sein. Meine Erinnerungen an ihn sind so klar, so jung und so lebendig. Ich
fühle, dass ich allein sein muss, wenn ich mich genauer damit auseinandersetzen
will. Meine Welt wird einstürzen und die Trauer wird meinen Leib zerreißen. Aber
diese Gefühle gehören mir und Olli allein. Ich will sie nicht teilen, wie ich
dieses Grab teilen muss.
     
    Betty bricht als Erstes das Schweigen und zeigt auf das Grab daneben. Es
ist weniger liebevoll bepflanzt, aber der Grabstein ist der Gleiche. Eingraviert
lese ich Bettys Namen und ihr Geburtsdatum. Das Sterbedatum fehlt. Klar, sie
steht ja noch neben mir: siebenundsechzig Jahre alt, blond und mit Zigarette.
Topfit und todunglücklich darüber. Sie möchte auch sterben. Sie möchte wieder
mit Oliver vereint sein.
     
    Ich sehe noch einmal das Grab mit den zwei Steinen an. Es erinnert mich
an ein Ehebett. „Wo wird
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