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Oh, diese Verwandschaft!

Oh, diese Verwandschaft!

Titel: Oh, diese Verwandschaft!
Autoren: Mary Scott
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Bisher hatte Guy gute Miene zu diesem Spiel gemacht; aber Laura konnte sich denken, daß ihm nicht wohl dabei war.
    Hugh war der Jüngste und, wie Großmutter sagte, »der einzige, der niemandem Kummer machte«. Er verbrachte sein letztes Schuljahr in einem zwanzig Meilen entfernten Internat. Alle hatten immer Freude an ihm gehabt. Er war klug und sah gut aus. Er war so groß wie sein Bruder, aber so feingliedrig wie Eva und hatte die Schule mit gleichbleibendem Erfolg durchlaufen. Und was noch wichtiger war: er war uneigennützig und hatte ein Herz für seine Mitmenschen. »Er nimmt wirklich Rücksicht auf andere Leute«, hatte Mrs. Stapleton ungläubig festgestellt. Laura liebte ihn, und er erwiderte ihre Zuneigung.
    Mr. Brady las noch immer weiter, und Laura stellte erleichtert fest, daß Großmutter die Vettern und Kusinen nicht leer hatte ausgehen lassen.
    Beträchtliche Gelder waren so angelegt, daß die Geschwister nicht vor ihrem dreißigsten Lebensjahr darüber verfügen konnten, daß sie aber jedem achthundert Dollar jährlich an Zinsen einbrachten. Wenn Eva zum Beispiel ihren Beruf aufgeben und einen ihrer mittellosen Intellektuellen heiraten würde; wenn Lester seine Zeitung an den Nagel hängen und sich ganz seiner Schriftstellerei widmen sollte; wenn Guy feststellen würde, daß die Höhepunkte mit Christine den Verdruß mit ihr nicht wettmachten; oder wenn Hugh kein gutes Stipendium bekäme und sein Studium selbst bezahlen müßte. Wenn all das eintraf, brauchten sie wenigstens nicht zu verhungern. Und natürlich würde immer noch Brookside da sein — sicher nicht zu Dereks reiner Freude.
    Plötzlich bemerkte sie, daß Onkel Joseph beleidigt war. Mr. Brady haue gerade vorgelesen: »Und meinem Bruder Joseph Spencer vermache ich das Haus, in dem er lebt, und eine jährliche Rente von vierhundert Dollar, die ihm zusammen mit seiner Pension ein behagliches Leben sichert. . .« Hier machte der Notar eine Pause; er hüstelte verlegen und fuhr dann fort: »...ohne die anderen allzu sehr zu belästigen.«
    Onkel Joseph, um die sechzig, sah außerordentlich gut aus; er war ein ziemlicher Egoist und entsetzlich faul. Jetzt schnaufte er beängstigend, und Mr. Brady las schnell weiter. Laura war offensichtlich die Haupterbin, und das würde es ihr erlauben, nach der Bezahlung des Begräbnisses Brookside ohne allzu große Kosten für ihren Mann zu erhalten. Eine Zeitlang wird es wenig abwerfen, bis einmal alles bezahlt ist. Aber es ist schließlich Großmutters Letzter Wille, und sie hat sich viel Kopfzerbrechen darüber gemacht.
    Mr. Spencer schnaufte abermals, und Brady setzte eilig hinzu: »Jeder hat genug bekommen, und zweifellos wird Mrs. Howard dafür sorgen, daß es Mr. Spencer gut geht. Er wohnt ja ganz in ihrer Nähe.«
    Laura murmelte Zustimmung und versuchte, ein begeistertes Gesicht aufzusetzen. Natürlich war Onkel Joseph schwierig; aber schon wieder fuhr ihr Großmutters Spruch durch den Kopf: »Wenn ich’s nicht tue, wer tut’s dann?« Sie selbst konnte zufrieden sein; sie bekam das Haus und ein ansehnliches Einkommen, und sie hatte den besten Mann von der ganzen Welt.
    Es war ihr noch immer ein Wunder, daß sich Derek in sie verliebt hatte und nicht in eine ihrer strahlend schönen Kusinen. Ihr fehlten doch, so schien es ihr, alle deren so ins Auge fallenden Reize. Sie hielt weder ihre grauen, schwarzbewimperten Augen noch ihre klare, weiße Stirn noch das Lächeln, das stets ihre Mundwinkel umspielte, für besonders attraktiv. Alle Männer hatten nur immer Augen für Eva und Christine gehabt, bis eines Tages Derek mit seinem guten Herzen, seinem liebenswürdigen Temperament und seinem ausgeprägten Humor dahergekommen war.
    Er hatte die Nachbarfarm gekauft und Großmutters Ländereien gepachtet. Nach und nach, aber um so unrettbarer hatte er sich in die Enkelin verliebt, die es zufrieden war, daheim sein und für Mrs. Stapleton sorgen sowie ihr in allen Schwierigkeiten beistehen zu dürfen. Sie hatten ein halbes Jahr zuvor geheiratet, ehe Großmutter die ersten Anzeichen jener Krankheit entdeckte, die dann so schnell zu ihrem Tode führen sollte. Die Hälfte der Zeit hatten sie sehr glücklich miteinander in ihrem eigenen Haus gelebt; dann aber waren sie nach Brookside gezogen, um in den letzten Monaten bei Mrs. Stapleton sein zu können.
    Schließlich ging Mr. Brady. Er schlug Laura vor, sie solle sich an ihn wenden, wenn sie Hilfe brauche. »Obwohl Sie keinen besseren Ratgeber haben könnten
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