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O du Mörderische

Titel: O du Mörderische
Autoren: dtv
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wieder. Ich lehnte meinen Kopf gegen die Trage und spürte die Landschaft ebenso wie die Zeit an mir vorbeirasen.
     
    Sie nahmen uns beide auf – mich für die Nacht, um mein Herz und meinen Blutdruck zu überwachen (beides war Gott sei Dank in
     Ordnung), und Mary Alice in der Intensivstation. Die Kugel hatte sie unmittelbar über ihrer rechten Schläfe getroffen.
    »Sie hatte wirklich unerhörtes Glück«, erzählte uns Haley, als sie aus dem Operationssaal kam. »Sie hat eine Menge Blut verloren,
     aber die Kugel ist gar nicht in den Schädel eingedrungen, sie hat ihn nur gestreift und ein paar Knochensplitter abgetrennt.«
    Die in meinem Zimmer versammelte Familie war einen Moment lang vollkommen still. Dann nahm Debbie, die an meinem Bett saß,
     meine Hand und begann zu weinen. »Weißt du«, sagte sie, »wir waren uns schon immer darin einig, daß Mama einen unglaublichen
     Dickkopf hat«, woraufhin der Rest von uns lachend in ihr Weinen einfiel.
    Bevor sie gingen, erklärte Debbie: »Tja, ihr Lieben. Tante Pat kann jetzt doch frei nach dem Hit der Hollies sagen,
she ain’t heavy, she’s my sister
– wenn’s drauf ankommt, wird die schwerste Schwester zum Leichtgewicht.«
    »Sei nicht albern«, sagte ich. »Die Frau wiegt eine Tonne.«
     
    Ungefähr einen Tag vor Weihnachten, glaube ich, kam Bo Mitchell kurz bei uns zu Hause vorbei, um mir die jüngsten Neuigkeiten
     über Claire Moon und Liliane Bedsole zu berichten und mir meinen Gedichtband zurückzugeben. Frances Zata und ich waren gerade
     dabei, am Küchentisch einen Gewürztee zu trinken, und Bo setzte sich zu uns.
    Die beiden Frauen waren in Nashville gefaßt worden, als sie eine Lastwagenladung Folk-Art an eine Galerie lieferten. |313| Liliane war gegen Kaution wieder freigelassen worden und mußte wahrscheinlich mit nicht mehr als einer Bewährungsstrafe und
     einem Bußgeld rechnen. Das wußten wir bereits. Bo war gekommen, um uns mitzuteilen, daß Claire in eine staatliche psychiatrische
     Klinik eingeliefert worden war.
    »Ich hoffe, sie haben sie dort gut im Griff«, bemerkte ich.
    Bo beschloß, die Anspielung zu ignorieren.
    »Ich bin froh, daß sie Hilfe bekommt«, seufzte Frances.
    »Sie war schon mal drei Monate in einer psychiatrischen Klinik«, sagte ich.
    »Wo man sie wegen Depressionen behandelt hat«, ergänzte Frances. »Aber ich wette, daß Claires Hauptproblem in einer gespaltenen
     Persönlichkeit liegt. Wegen des Mißbrauchs in der Kindheit.«
    »Könnte sein«, stimmte ich ihr zu. »Die Zwillinge kamen neulich mal vorbei, um sich davon zu überzeugen, daß es mir gutgeht,
     und sie redeten über sie als ›Gute Claire‹ und ›Böse Claire‹. Wußten Sie das?«
    »Ich denke, der Arzt ist auch dieser Ansicht«, erklärte Bo. »Es gibt ganze Zeitabschnitte, an die sie sich nicht mehr erinnert,
     Zeitabschnitte, in denen Dinge passierten wie etwa, daß das Bild gemalt und Ross Perry erschossen wurde. Was übrigens beides
     sie getan hat. Nachdem ihr Mann erschossen worden war, kaufte sie, wie sich inzwischen herausgestellt hat, mehrere Waffen
     und nahm Schießunterricht.«
    »Sie muß Fred Moon sehr geliebt haben«, meinte Frances. »Ob seine Sachen wohl was getaugt haben?«
    Bo Mitchell zuckte die Schultern. »Fragen Sie mich nicht.«
    »Und wer hat sie aus der Klinik geholt?« wollte ich wissen.
    »Sie selbst. Die böse Claire klinkte sich ein, sie war stärker als die Medikamente. Wir haben den Typen gefunden, der sie
     per Anhalter mitgenommen hat. Sie ließ sich zur Galerie bringen und schnappte sich dort Mercys Transporter.«
    |314| »Aber es war die gute Claire, die damals vor meiner Haustür auftauchte.«
    »Ja.«
    Wir tranken unseren Tee und beobachteten die Vögel, die zu der Weihnachts-Spezial-Futterkugel geflogen kamen, die ich für
     sie auf der Veranda aufgehängt hatte.
    »Weißt du«, fuhr Frances fort. »Das Bild, das Claire an die Schlafzimmerwand gemalt hat. Was, wenn das gar nicht Claire und
     die Zwillinge darstellt? Was, wenn es eine dreigespaltene Claire sein soll?«
    »Trink deinen Tee, und denk über so was besser erst gar nicht nach«, sagte ich. »Eins allerdings noch, Bo. Wer war Ihrer Meinung
     nach unser Spanner hier?«
    »Ich weiß es. Liliane. Sie sah Ihr Abe-Gemälde mit dem Haar und schätzte, daß es einen Haufen Geld wert war. Außerdem hat
     sie gesehen, daß Sie kein Sicherheitsschloß an Ihrer Tür haben.« Sie deutete anklagend mit dem Finger zum Eingang hinüber.
     »Zum Glück
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