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Nur dieser eine Sommer

Nur dieser eine Sommer

Titel: Nur dieser eine Sommer
Autoren: Mary Alice Monroe
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sie als verantwortliche Abteilungsleiterin für den Verlust eines Schlüsselkunden den Kopf hinhalten müsse. Während er ihr lang und breit die großzügige Abfindungsregelung der Firma erläuterte, schlug Cara die Beine übereinander, faltete artig die Hände im Schoß und schaute, vom Schock wie betäubt, aus dem Fenster. Am Ende der demütigenden Unterredung erhob sie sich, dankte Mr. Alexander höflich dafür, dass er sich für sie Zeit genommen hatte, erklärte ihm, sie werde ihre persönlichen Gegenstände später abholen, und verließ das Firmengebäude – in Begleitung eines bewaffneten Wachmanns.
    Danach war sie geradewegs zu ihrer engen Eigentumswohnung am Lake Michigan gefahren. In dem etwas vernachlässigten Ein-Zimmer-Apartment steckten ihre gesamten Ersparnisse der vergangenen zwanzig Jahre, jeder einzelne Cent. Sie hatte die Wohnung wegen der Nähe zum Seeufer erworben – ein letzter Anflug von Heimatverbundenheit nach langem Exil. Allerdings erwies sich ihre Bleibe nicht als der Zufluchtsort, zu dem man waidwund und verletzt zurückkehrte. Es war kein Zuhause, wo wichtige Ziele im Leben erreicht und Familienfeste gefeiert wurden. Diese vier Wände bargen keine Erinnerungen an lustige Begebenheiten oder lieb gewordene Augenblicke. Der minimalistische Stil, das kühle Eisblau und Grau der Wände und Polster, die wenigen persönlichen Dinge, all das bot keinerlei Hinweis auf Caras Charakter oder auf ihre Interessen. Ihre Eigentumswohnung diente lediglich als Schlafstelle für die Nacht, als Aufbewahrungsort für ihre bedeutungslosen Habseligkeiten, fast so nüchtern wie der Tresorraum einer Bank.
    Und doch stellte diese nüchterne und fast sterile Wohnung Caras gesamten irdischen Besitz dar.
    Es war grausam, im Alter von vierzig Jahren plötzlich aufzuwachen und feststellen zu müssen, dass man keine Freunde hatte, keine Interessen und keinerlei Verbindung zu Dingen außerhalb des Berufs. Das alles hatte sie verpasst, zu lange aufgeschoben, aufgehoben für den Tag, an dem sie mehr Zeit haben würde. Sie hatte sich stets über ihre Arbeit definiert. Jetzt, mit einem Male, war das alles weg, und sie fand sich im Haus ihrer Mutter wieder, in dem Bett, in dem sie als Kind geschlafen hatte. Und mit nunmehr vierzig fühlte sie sich genauso unsicher wie damals mit achtzehn.
    Cara spürte jene bittere Kälte, die einem direkt ins Mark dringt, und schlang fröstelnd die Arme um den Körper. Es war die Kälte, die der Furcht bedenklich nahe kommt.
    Einige Zeit später hätte sie nicht genau sagen können, ob sie träumte oder ob das wirklich die Hand ihrer Mutter war, die ihre Schläfe berührte und ihr sanft das Haar aus dem Gesicht strich. Hatte ihr da jemand zärtlich die Stirn geküsst?
    Zur Eiablage kehren die weiblichen Meeresschildkröten an den Ort zurück, an dem sie einst selbst aus dem Ei geschlüpft sind. Wird dieses Verhalten vom Instinkt gesteuert? Vom Gedächtnis? Von Gerüchen oder Geräuschen? Von magnetischen Feldern etwa? Niemand weiß es genau.

2. KAPITEL
    D er Silberglanz des Mondes über South Carolina kann einschläfernd wirken. Die Küstensonne hingegen ist so stechend und scharf wie der durchdringende Ton einer Fanfare. Mühsam schlug Cara ein Auge auf und blinzelte in das gleißende Sonnenlicht, das durch das offene Fenster ins Zimmer fiel. Es dauerte eine Weile, bis sie wusste, wo sie war, bis sie merkte, dass es sich bei den von draußen hereindringenden Lauten nicht um quäkendes Autogehupe handelte, sondern um unablässiges, munteres Vogelgezwitscher. Die lange Fahrt, die Entlassung – alles kam ihr blitzartig wieder in den Sinn. Ächzend stülpte sie sich ein Kissen über den Kopf. Genau in diesem Moment begann das Telefon im Flur zu läuten.
    Offenbar machte niemand Anstalten, den Anruf entgegenzunehmen. Also warf sie das Kissen beiseite, zog das T-Shirt züchtig über ihr Höschen, trippelte wie eine Strandkrabbe durch den engen Korridor zu dem kleinen hölzernen Hocker, auf dem das einzige Telefon im Cottage stand, und nahm den Hörer ab.
    „Hallo?“ Es klang, als hätte sie einen Frosch im Hals.
    Schweigen. Nach kurzer Pause meldete sich eine Frau. „Olivia?“ Sie schien so verunsichert, dass ihre Stimme fast schrill wirkte.
    „Nein, hier ist nicht Lovie!“ Cara hätte um ein Haar gegähnt. „Ich bin die Tochter.“
    „Ach so!“ Erneutes Schweigen folgte. „Ich wusste gar nicht, dass Lovie eine Tochter hat.“
    Cara rieb sich die Augen und wartete.
    „Kann ich
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