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Null-Null-Siebzig: Agent an Bord: Kriminalroman (German Edition)

Null-Null-Siebzig: Agent an Bord: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Null-Null-Siebzig: Agent an Bord: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Marlies Ferber
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schluckte fast ohne zu kauen und bemerkte versonnen: »Es ist schon seltsam, was von manchen Menschen, die man gekannt hat, übrig bleibt. Manchmal ist es nur ein Ausspruch oder ein Sandwich-Rezept.«
    »Oder ein Ehering«, warf Sheila ein. Die alte Dame winkte ab und lächelte James zu. »Diese bissige Art hatte sie früher schon, James. Aber das wissen Sie vermutlich.« Sie sah James, der ebenfalls ein Thunfischsandwich genommen hatte, erwartungsvoll an. »Und? Wie schmeckt es Ihnen?«
    »Ausgezeichnet«, sagte James und griff, noch während er den letzten Bissen kaute, nach einer Orange vom Obstteller, um den widerwärtigen Geschmack loszuwerden. Mit ein paar Bewegungen seines Taschenmessers befreite er die Orange von ihrer Schale.
    »Sie gehen geschickt mit dem Messer um«, stellte Phyllis anerkennend fest.
    James lächelte. »Es ist nicht meine erste Orange. Möchten Sie ein Stück?«
    »Danke, keine Vitamine. Aber sagen Sie, James, was kann dieses Taschenmesser noch alles?«
    »Wie meinen Sie das?«
    Phyllis fixierte ihn mit ihren dunkelbraunen Augen. »Sie wissen, was ich meine, tun Sie nicht so. Ein Exagent des SIS trägt kein Taschenmesser mit sich herum, das nur Orangen schälen kann.«
    »Jemanden damit mundtot zu machen wäre auch kein Problem«, sagte James mit einem Seitenblick auf Sheila, »aber ich versichere Ihnen, ich bin vor fünf Jahren aus dem Dienst ausgeschieden, nicht wahr. Die aufregenden Zeiten sind vorbei. Wobei sie – unter uns gesagt – so furchtbar aufregend nun auch nicht waren.«
    »Ach ja?« Die alte Dame zog die Augenbrauen hoch. »Und wie sind Sie dann zu Ihrem Spitznamen gekommen?«
    »Was meinen Sie?« James sah zu Sheila, die seinem Blick auswich.
    »Ihr Spitzname – Null-Null-Siebzig!«
    James seufzte. »Ich hätte es wissen müssen. Ich sehe schon, Ihre Tochter hat Ihnen von Eaglehurst erzählt.«
    »Ja«, bestätigte Phyllis, »und ich finde die ganze Geschichte fantastisch!«
    Sie befragte ihn zu allen Einzelheiten der Mordfälle in der Seniorenresidenz. Dabei strahlte die zierliche kleine Gestalt, die von Weitem wie ein präparierter Schmetterling wirkte, eine Vitalität aus, die ansteckend war. James vermutete, dass ihr reges Interesse an allem, was um sie herum geschah, der Grund dafür war. Schließlich wurde es Zeit für ihn zu gehen, er erhob sich und reichte Sheilas Mutter zum Abschied die Hand. Sie hielt James’ Hand fest umkrallt und sah ihm in die Augen. »Wie alt schätzen Sie mich, James?«
    Er hatte zu viel Lebenserfahrung, um sich von einer Frau mit dieser Frage in Verlegenheit bringen zu lassen. »Wenn ich es nicht besser wüsste«, gab er galant zurück, »würde ich denken, dass wir beide im selben Alter sind.«
    Die alte Dame lächelte wie jemand, der genau diese Antwort erwartet hatte. Sie hielt immer noch James’ Hand fest. »Ich werde in gut zwei Monaten neunzig!«
    »Nein!«
    »Doch, James, auch wenn ich es selbst kaum glauben kann. Und da es höchstwahrscheinlich mein letzter runder Geburtstag sein wird, will ich noch ein Mal richtig feiern und ...«
    »Mutter, sei doch nicht so melodramatisch«, warf Sheila ein. »Du wirst noch viele Geburtstage feiern.«
    »Ja, mag sein«, sagte Phyllis heftig, »aber vielleicht bin ich dann taub oder blind oder habe Schmerzen oder wer weiß,was sonst noch. Nein, in meinem Alter kann von heute auf morgen Schluss sein. In der Gegenwart leben, das ist es! Alles herausholen, was geht! Es noch mal so richtig krachen lassen!« Sie wandte sich wieder James zu, der sich bemühte, ernst zu bleiben bei der Vorstellung, wie die alte Dame es so richtig krachen ließ. »Genug der langen Vorrede, James. Es ist mein Wunsch, einen unvergesslichen Geburtstag zu verleben, im Kreis einer Handvoll ganz besonderer Menschen, die mir lieb und teuer sind. Und ich würde mich sehr, sehr freuen, Sie dazuzählen zu dürfen.«
    Nun gaben ihre knochigen, doch erstaunlich kräftigen Finger seine Hand endlich frei. Er sah zu Sheila, die seinem Blick auswich, und fühlte sich überrumpelt. Er war Sheilas Kollege gewesen, seit zwei Jahren war er ihr Nachbar, und sie hatten gemeinsam den Fall in Eaglehurst gelöst. Auch wenn er es sich nur ungern eingestand, war Sheila, soweit er überhaupt Beziehungen zu anderen Menschen einging, mittlerweile der wichtigste Mensch in seinem Leben. Er genoss ihre Gesellschaft so sehr, dass er ihre Freundschaft auf keinen Fall durch den Fehler gefährden wollte, den seiner Meinung nach die zu große Nähe
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