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Nukleus

Nukleus

Titel: Nukleus
Autoren: Claus Cornelius Fischer
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an das Zusatzokular und saugte die Linse geradezu in die fleischige Höhle seines rechten Auges, wie um jede Möglichkeit einer unliebsamen Zeugenschaft auszuschalten.
    Sie stecken unter einer Decke, dachte Ella, Cassidy und Fleming und – mein Gott! – auch Julian. Aber warum? Es ist doch alles vorbei, warum wollen sie Anni immer noch töten? Was haben sie denn davon?
    Sie stürmte aus dem OP in den Vorbereitungsraum, riss sich Mund schutz und Handschuhe herunter und versetzte Cassidy einen Stoß mit der Faust. »Was läuft hier, verdammte Scheiße?!«
    Der Detective Inspector bemühte sich gar nicht erst, so zu tun, als wäre er ahnungslos. »Wonach sieht es denn aus?«, fragte er zurück. »Ich sehe eine ganz normale Operation, die allerdings ein bisschen schiefläuft. Dr. Auster hat meines Wissens erst vor Kurzem eine Patientin bei einem ähnlichen Eingriff verloren, beinahe jedenfalls. Grenzt ja wohl an ein Wunder, dass sie überlebt hat, oder nicht?«
    »Womit haben Sie Julian unter Druck gesetzt?«, fragte Ella.
    Eine Moment lang schwieg Casssidy. Dann sagte er: »Mit Ihnen.« Er hielt ein fleckiges Taschentuch in der Hand, die nicht in der Schlinge steckte, und betupfte damit eine hässliche, nässende Wunde an seinem Kinn. »Er liebt Sie, aber das wissen Sie ja.«
    »Ich glaube Ihnen nicht«, sagte sie, auf einmal mutlos.
    Der Detecitve Inspector löste die Augen von dem Monitor, auf dem er der Operation, groß und in überrealistischen Farben, folgte. »Das hier ist nur für Ihre Ohren bestimmt«, sagte er und holte mit der gesunden Hand samt blutbeflecktem Taschentuch ein kleines digitales Aufzeichnungsgerät aus der Jackentasche. »Ich dachte mir schon, dass Sie schnell wittern, wie der Hase läuft. Was Sie jetzt hören, soll Ihnen etwas Hilfestellung dabei leisten, sich richtig zu verhalten.«
    Ella fragte: » Richtig verhalten soll wohl bedeuten, dass ich ruhig zusehe, wie meine beste Freundin stirbt?«
    »Vielleicht halten Sie einfach mal die Klappe und hören ein paar Minuten zu, Doc?« Cassidy schob das Gerät in die Schlingenhand und drückte die Start-Taste. Zuerst hörte man gar nichts außer dem Rauschen von Wasser und ein Knarzen. »Die Qualität ist nicht optimal. Das Tonband war in der Tasche meiner Lederjacke versteckt …« In diesem Moment sagte eine gedämpfte Stimme: »Könnten Sie das bitte mal für einen Moment lassen, Dr. Auster? Ich muss noch etwas mit Ihnen besprechen …«
    Das Rauschen brach ab. »Drei Minuten«, sagte eine andere Stimme, tatsächlich die von Julian.
    Es gab einen Moment der Stille, nur das leise Knarzen und Scharren. Dann sagte Cassidy wie beiläufig: »Kann allerlei passieren während so einer Operation, richtig? Ein kleiner Ausrutscher, mehr nicht, und schon wird aus dem piependen Punkt auf Ihrem Monitor eine gerade Linie.«
    »Ich neige nicht dazu, mir Ausrutscher zu leisten«, beschied Julian ihn kühl.
    »Ich meine, nur Sie blicken durch das Operationsmikroskop, also können auch nur Sie sehen, was Sie tun. Wenn Sie einen Fehler machen, sind Sie der Einzige, der es merkt, solange es ein kleiner Fehler ist. Mikroskopisch klein.«
    »Ich neige auch nicht dazu, mikroskopisch kleine Fehler zu machen.«
    Cassidy blieb unbeeindruckt. »Ein unmerklicher Kratzer im Gebiet der Kleinhirnschlagader, deren Bedeutung Sie vorhin so ungemein plastisch geschildert haben. Ein winziger Schlenker mit dem Skalpell …«
    »Da drin arbeite ich nicht mit einem Skalpell, sondern mit einem Sauger und …«
    »Dann meinetwegen mit dem Sauger, solange Sie ihr damit nicht den halben Hirnstamm wegschlürfen, das würde wohl etwas Aufsehen erregen. Sie verstehen?«
    »Nein«, antwortete Julian.
    »Irgendwas, das intravenös verabreicht, aber im Blut nicht nachgewiesen werden kann«, fügte Cassidy hinzu. »Hauptsache, die Patientin kommt nicht wieder zu sich.«
    Julian schwieg, denn jetzt verstand er.
    Cassidy sagte: »Ich weiß, was Sie gerade denken. Sie denken, der Mann ist doch Polizist, er hat meiner geliebten Ella geholfen, ihre Freundin zu finden, ihr das Leben zu retten, und jetzt will er, dass ich sie töte? Sie denken an den ehrwürdigen Eid, den Sie mal geleistet haben, ganz ähnlich wie ich, und Sie fragen sich, was ich wohl dabei empfinde, wenn ich Ihnen nahelege, einen Kunstfehler zu begehen und eine Patientin zu töten. Die Antwort lautet: überhaupt nichts. Ich empfinde nicht das Geringste, weder Scham noch Schuldgefühle. Sie und ich, wir beide haben im Lauf der Jahre
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