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November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

Titel: November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)
Autoren: Alfred Döblin
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Pelzkostüm, ging neben ihm. Sie trug hohe glänzende Schaftstiefel und hatte sich an der Brust das Veilchenbouquet angesteckt, das ihr Jakob am Gutenbergplatz anbot. Da saß das Veilchen, nicht, wie das Lied sagt, gebückt in sich und unbekannt, sondern, wie Jakob empfand, stolz und sicher. Er wußte noch immer nicht genau, wozu sie eigentlich in Straßburg waren, aber er ahnte es.
    Sie gelangten mit großer Mühe auf den Broglieplatz. Die Aufregung der Leute wuchs, es waren so viel, daß man sich nur dicht an den Häusern entlangwinden konnte. Hanna hielt am ehemaligen Offizierskasino. Ein Doppelposten in himmelblauer Uniform mit Stahlhelm und Bajonett stand davor. Da brauchte sie nicht lange nach ihrem Geliebten zu fragen. Hier war er nicht, und hier wußte niemand von ihm. Sie blieb trotzdem lange in der Nähe des Eingangs und beobachtete die aus und ein gehenden Offiziere und Ordonnanzen. Sicher war er hier hineingegangen. Von diesem Kasino hatte er ihr manchmal erzählt. Was nutzte das Stehen und Blicken, sie fror, Jakob stand neben ihr. Sie gingen. Nun wußte sie nicht wohin, wie ein Hund, der die Fährte verloren hat. Da nahm sie ihren Jakob beim Arm und ließ sich von ihm aus dem Gedränge führen. Alle Wirtschaften steckten voll Menschen. Bis ein Uhr irrten sie herum, dann fanden sie Platz in einem warmen Restaurant an der Bahn, wo sie aßen und lange blieben. Nachher kamen sie wieder vor die Mairie, mitgerissen von einer unübersehbaren Menschenmenge. Die Pompierkapelle spielte. Ein Jubel, als »Hans im Schnakenloch« gespielt wurde. Alles sang mit, Hanna preßte sich an Jakob, sie stand wie eine Schuldige, sie sang nicht, er wußte, was in ihr vorging. Zuletzt brüllte ein Mann aus der Masse zum Balkon herauf: »Jetzt hämm wir, was wir welle.« Tosender Beifall.
    Wie sie gegen drei Uhr im Piccadilly ihren Kaffee tranken, lachten neben ihnen Leute und erzählten von dem Spaß, den der Komiker Haniel an der Kehler Brücke mache. Er gebe es gründlich den Schwobe, die rüber müßten. Hanna sah Jakob an, flüsterte: »Ich möchte hin.«
    Mit der Elektrischen fuhren sie hinaus, durch die Schwarzwaldstraße, vorbei am Proviantamt und an dem gewaltigen Komplex der Zitadelle und Esplanade, der Kasernen, zum Kehler Tor. Ein weites Gelände öffnete sich, Hafen und Industriebauten. Auf den Straßen wanderten zunehmend mehr Menschen. Der Straßenbahnschaffner lächelte: »Alle zur Brücke, der Haniel ist da.«
    Man näherte sich dem Rhein. Eine wellige Fläche mit vertrocknetem Gras, wenig Bäume. Schon von weitem Geschrei und Johlen, das periodisch anschwoll.
    Wie strahlend war der Einzug der Truppen am Hohen Steg und in der Stadt gewesen, der Ritt der Offiziere durch die geschmückten Straßen, von Jubelrufen umbraust, Reiter mit geschwungenem Säbel, finstere Infanteristen mit Stahlhelmen, die Mäntel über den Knien zurückgeschlagen, schwer schlagende Stiefel, das Rollen der Geschütze, in der Luft das Dröhnen der Flugzeuge.
    Hier zog der alte Rheinstrom, breit und flach. Sein Wasser offen. Zwei starke Brücken verbanden die Ufer, der Weg herüber war nicht weit. Aber jetzt sah man den Eingang zur Fußgängerbrücke nicht. Die ganze Zugangstraße war von einer Menschenmasse belagert, die sich besonders in der Nähe der Brücke schwarz ballte. Mühsam wurde ein enges Spalier aufrechterhalten, um einen Durchgang zu schaffen. In der Gasse sah man ein paar Menschen sich bewegen. Es waren die Altdeutschen, die man austrieb, und die zu Fuß nach Kehl gingen.
    Hanna drängte vor. Sie gerieten in den Tumult am Anfang der Chaussee. Es war ein regelrechtes Volksfest mit vielen Kindern und Halbwüchsigen. Händler mit französischen Fähnchen und Kokarden gingen herum. Man warf gelegentlich welche einem Vertriebenen auf sein Gepäck oder sogar auf die Brücke nach, die Fähnchen schwammen nachher im Rhein. Man verkaufte Süßigkeiten, heiße Würstchen. Flugblätter und Bilder wurden verteilt. Besonders ein Blatt heftete man den Vertriebenen an, so wie manche Pflanzen ihre Samen Menschen und Tieren, die vorüberstreifen, anhaken, damit sie sie weitertragen. Das Blatt war französisch und deutsch gedruckt und mit schwarzem Trauerrand versehen, »Todesanzeige und Testament des Wilhelm von Hohenzollern, genannt Wilhelm II., Kaiser von Deutschland«, er wurde auch als »Aderlasser und Exkaiser sämtlicher deutscher Staaten« bezeichnet. An mehreren Stellen las man dies »Testament« unter Gelächter vor. Auch die Kinder
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