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November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

Titel: November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)
Autoren: Alfred Döblin
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eine Fügung des Schicksals, vielleicht stell’ ich mich unter seinen Schutz, und lenkte das Gespräch auf Offiziere: »Und was habt ihr mit euren Offizieren gemacht, Bottrowski?« Der sah ihn aus seinem ernsten Mannesauge groß an: »Außer Epauletten und Degen haben wir keine Wünsche. Abziehen sollen sie. Verschwinden. Völlig. Du warst ein guter Kerl und andere auch, die wußten oder die lernten, was ein Mann ist. Aber im ganzen – ich rat dir, mach dir dünne, so daß man nichts von dir sieht.« Es war Heiberg zuviel. Es stieg wieder furchtbar in ihm auf. Er blickte sich um. Er fragte gezwungen: »Und warum?«
    Der Mann im Soldatenmantel machte keine Bewegung, verzog das Gesicht nicht, veränderte seinen ruhigen Ausdruck nicht. Er blickte grade vor sich auf die Wandetagere mit den drei kleinen Metallkrügen: »Das ist gut, daß du so redest. Andere tun’s nicht. Die mischen sich bei uns ein und sind falsch. Wir werden sie bald auf den Schwung bringen. Ihr habt den Krieg verloren und das Volk ruiniert. Sieh uns an oder fahr rüber. Ihr habt nicht mehr den Mund aufzumachen. Das ist noch das Sicherste, was ihr tun könnt. Sonst müssen wir anders vorgehen. Du fragst, Heiberg, warum. Weil du jung bist und nichts weißt. Wenn ich meine Tochter, die ist zwölf Jahre, frage, warum essen wir nicht Fleisch oder schicken Muttern, weil sie’s braucht, im Sommer aufs Land, dann lacht sie mir aus: ›Vater, du bist wohl verrückt.‹ Die glaubt, das muß so sein. Wir Stubenmaler und Tüncher haben auch, als Krieg wurde und weil wir nicht anders konnten, stillgehalten und sind rausgegangen, wie wir dran waren, und von unserer Gewerkschaft sind viele gefallen oder laufen schief und krumm herum und werden nicht mehr auf die Leiter stehen. Aber nu ist der Krieg aus und ihr habt verspielt. Ihr, Heiberg. Denn du gehörst dazu, wie meine Tochter zu mir gehört, und jetzt können wir anders, und jetzt wird es anders.«
    Er drehte das stopplige Gesicht Heiberg zu. Er sah nicht böse aus, nur sehr bestimmt, streng. Heiberg saß die Wut in den Knochen. Der Soldat fügte gutmütig hinzu: »Aber ich fress’ dich nicht«, und zog eine Zigarre hervor, die er liebevoll beschaute: »Kann dir leider keine anbieten. Ist auch bloß geschenkt.«
    »Was habt ihr mit euren Offizieren gemacht?« So weit war Heiberg schon, daß er sich nochmal an diese Frage wagte. Bottrowski blickte nach der Kellertreppe, wo eben zwei Soldaten herunterstiegen und im Vorderraum laut Platz nahmen. »Elsässer«, knurrte Bottrowski, als er sich die Zigarre angesteckt hatte, »leiser sprechen, ich kenne die nicht. Die Offiziere? Klappte wie im Pantinenkeller. Wir haben ihnen einen kleinen Stoß gegeben, wie wenn ich den Tisch hier puffe, da sind sie umgefallen. Viele sind weg. Der Kommandierende und der Stabschef sind noch da, was wir anerkennen. Bis heut vormittag müssen wir Antwort haben, ob sie sich unterwerfen und mitmachen. Ich geh’ zur Sitzung. Du kannst mit.«
    »Ich kann nicht«, hauchte Heiberg. Bottrowski lachte: »Wir fressen keinen, sind schon ein halbes Dutzend Offiziere im Soldatenrat.« »Wo ist es?« »Noch ein Stück zu gehen, auch am Wasser, in der feinen Gegend am Schloß.«
    Er stand auf, Heiberg mußte mit. Sie gingen quer durch die Stadt. Heiberg sah sich um, wie entrinn’ ich dem Kerl. »Komm«, lockte der Henker, »komm, Heiberg, du hast mir noch nicht erzählt, was macht unsere Kompanie.« Ich muß entweichen, dachte Heiberg. Da rollte an den Gewerbslauben von Süden herauf ein Militärlastwagen mit roter Fahne, dicht vor ihnen hielt er, man streckte die Köpfe heraus, rief »Bottrowski«. Da war es aus mit Heiberg, er wollte ausrücken, aber sein Begleiter schlang den Arm um ihn, während oben die Leute die Wagenklappe herunterließen: »Das ist ein Leutnant von meiner Kompanie, der kommt mit.«
    Und unter Hallo, von kräftigen Händedrücken begrüßt, mit einem Schwung heraufgezogen, mußte Heiberg in den Wagen, die Klappe schlug hoch und wurde angekettet. Sie ratterten nach dem Justizpalast.

    Die Zeitungen, die der Provisor von Straßburg zurückbrachte, waren die ersten von diesem Morgen, es herrschte eine große Stockung im Zugverkehr. Man bildete, wie er hielt, um sein Wägelchen einen Haufen, es hatten einige aus der Nachbarschaft erfahren, daß er ganz früh eine Besorgung in Straßburg hatte. Der junge Apothekenbesitzer, ein langer Schlaks, lief aus der Tür und ließ sich von ihm den kleinen Arzneikasten herunterreichen,
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