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Nora Roberts

Nora Roberts

Titel: Nora Roberts
Autoren: Töchter der See
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war.
    Mechanisch zog sie ihre Kleider aus, trat unter die Dusche, zog sich wieder an, und immer noch hatte sie das Gemälde, das sie wie eine Besessene innerhalb einer einzigen Nacht gemalt hatte, nicht angesehen. Statt dessen nahm sie das noch volle Tablett und trug es in die Küche hinab.
    Sie sah Brianna im Flur, wo sie sich gerade von Gästen verabschiedete, ging wortlos an ihr vorbei, stellte das Tablett auf den Tisch und nahm sich eine Tasse des bereits vor Stunden für sie gekochten Kaffees.
    »Ich mache frischen«, bot Brianna an, als sie zu ihr in die Küche kam.
    »Nein, ist schon in Ordnung.« Mit einem halben Lächeln hob Shannon die Tasse an den Mund. »Wirklich. Tut mir leid, daß ich das Essen nicht angerührt habe.«
    »Kein Problem. Laß mich dir etwas Neues machen, Shan non. Du hast seit gestern nichts mehr in den Magen gekriegt, und du bist kreidebleich.«
    »Ich schätze, etwas zu essen wäre nicht schlecht.« Da sie zu schlapp war, um etwas anderes zu tun, setzte sie sich einfach auf einen Stuhl.
    »Hast du mit Murphy gestritten?«
    »Ja und nein. Aber im Augenblick möchte ich lieber nicht darüber sprechen.«
    Brianna stellte einen Topf mit Irish Stew auf den Herd und öffnete die Kühlschranktür. »Dann bedränge ich dich auch nicht. Hast du dein Gemälde fertiggestellt?«
    »Ja.« Shannon machte die Augen zu. Das Bild war nicht das einzige, das zu beenden sie gezwungen war. »Brie, ich würde mir jetzt gerne die Briefe ansehen. Ich muß sie sehen.«
    »Nachdem du etwas gegessen hast«, sagte Brianna und schnitt zwei Scheiben Brot für ein Sandwich ab. »Ich rufe Maggie an, wenn du nichts dagegen hast. Das sollten wir gemeinsam tun.«
    »Ja.« Shannon schob ihre Tasse fort. »Das sollten wir gemeinsam tun.«

23. Kapitel
    Es fiel ihr schwer, auf die drei dünnen, von einem verblichenen roten Band zusammengehaltenen Umschläge zu sehen. Er mußte ein sentimentaler Mann gewesen sein, dachte Shannon, wenn er die wenigen Briefe mit einem Band umgab.
    Ohne daß sie um einen Brandy gebeten hatte, stellte Brianna einen Schwenker vor ihr auf den Tisch. Sie hatten sich zu dritt ins Wohnzimmer gesetzt,und da Gray mit dem Baby zu Rogan gegangen war, herrschte vollkommene Stille im Haus.
    Die Sonne war bereits am Untergehen, und so schlug Shannon im Licht einer Lampe zögernd den ersten Umschlag auf.
    Die Handschrift ihrer Mutter hatte sich nicht verändert. Das sah sie sofort. Schon immer hatte sie eine ordentliche, weibliche und zugleich irgendwie sparsame Schrift gehabt.
    Mein liebster Tommy.
    Tommy, dachte Shannon und starrte die erste Zeile an. Sie hatte ihn in ihren Briefen Tommy genannt. Und sie hatte ihn Tommy genannt, als sie ihrer Tochter gegenüber zum ersten und letzten Mal auf ihn zu sprechen gekommen war.
    Aber Shannon dachte an ihn als Tom. Tom Concannon, von dem ihr das Grün ihrer Augen und das Kastanienbraun ihrer Haare vererbt worden war. Tom Concannon, der kein guter Farmer, aber ein guter Vater gewesen war. Ein Mann, der sich gegen sein Treuegelübde und gegen seine Frau gewandt hatte, um eine andere Frau zu lieben – die anschließend, ohne daß er etwas dagegen getan hätte, davongegangen war. Der ein Dichter hatte sein wollen und reich, und der, ohne auch nur eins dieser Ziele zu erreichen, gestorben war.
    Sie las weiter, und unweigerlich hörte sie die Stimme ihrer Mutter, die Liebe und Freundlichkeit darin. Kein Bedauern. Shannon fand kein Bedauern in den Worten, mit denen sie von Liebe und Pflicht und der Schwierigkeit, immer die richtige Wahl zu treffen, sprach. Sehnsucht, ja, und Erinnerungen, aber ohne jede Entschuldigung.
    Immer, hatte sie geendet. Immer Deine Amanda.
    Mit größter Sorgfalt schob Shannon den ersten Brief in den Umschlag zurück. »Sie hat mir gesagt, daß er zurückgeschrieben hat. Aber ich habe nie irgendwelche Briefe zwischen ihren Sachen entdeckt.«
    »Wahrscheinlich hat sie sie nicht aufgehoben«, murmelte Brianna. »Aus Respekt vor ihrem Ehemann. Ihre Loyalität und ihre Liebe galten schließlich ihm.«
    »Ja.« Shannon wollte es glauben. Wenn ein Mann einer Frau über fünfundzwanzig Jahre lang alles von sich gab, hatte er nichts Geringeres verdient.
    Sie nahm den zweiten Brief. Er begann und endete wie der erste, aber dazwischen waren Hinweise auf etwas anderes als die bloße Erinnerung an eine kurze, verbotene Liebe versteckt.
    »Sie wußte, daß sie schwanger war«, brachte Shannon tonlos hervor. »Als sie das hier schrieb, wußte sie es. Sie
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