Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nochmal tanzen - Roman

Nochmal tanzen - Roman

Titel: Nochmal tanzen - Roman
Autoren: Limmat-Verlag <Zürich>
Vom Netzwerk:
Fleurs Stil gefällt? Sie hängt das Kleid über den Arm und schnappt sich auf dem Weg zur Umkleidekabine eine kurzärmlige schwarze Bluse.
    Die Bluse ist zu kurz. Schnell zieht Fleur sie aus. Im Jeanskleid tritt sie mit einem «Typisch, wenn ich einmal shoppen will, passt mir nichts» zu Lis heraus. Das Kleid schlottert ihr um die Brust, am Po sitzt es perfekt. Lis zupft daran. «Schade. Abnäher sind schwierig zu machen, so gut bin ich nicht im Nähen», sagt sie. «Zieh doch einen gepolsterten BH an», rät Manu, die sich in einer paillettenbesetzten Jacke zu ihnen gesellt. Fleur käme sich lächerlich vor mit ausgestopftem Busen. Wenigstens passt das weiße T-Shirt.
    «Hi Girls.» Pascal legt Manu und Lis im Tram je eine Hand auf die Schulter. «Was Schönes gekauft?», fragt er mit einer Kopfbewegung Richtung Manus Einkaufstüte. «Eine Paillettenjacke.» Fleur überlegt, ob sie etwas sagen soll. Sie kennt Pascal nur vom Sehen – wie alle, die das letzte Stück des Theaterclubs gesehen haben. «Ihr kennt euch, oder?», fragt Lis. Bevor Fleur antworten kann, sagt Pascal: «Du hast doch die letzte Vorstellung fotografiert.» Sie nickt. «Mit einem der Bilder habe ich mich an der Schauspielschule beworben.» Er schaut sie freundlich an. Sie bringt nur «Wirklich?» heraus.
    Im Geografieunterricht spukt ihr die Szene wieder und wieder durch den Kopf. Sie wälzt Sätze, mit denen sie hätte reagieren können. Mit einer Frage zur Schauspielprüfung oder mit «Ich hoffe, meine Fotos bringen dir Glück».

4
    Noch zwei. Alice legt die Beine aufs Bett. Ihre Bauchmuskeln brennen. Jetzt noch die Oberschenkel. Sie steht auf, geht in die Hocke, zählt bis acht. Es ist jeden Morgen dasselbe. Erst hat sie keine Lust auf Gymnastik. Nur eine Übung, überredet sie sich, du musst nicht alle machen. Und dann turnt sie eine halbe Stunde. Sie schlüpft in die Hausschuhe, setzt Wasser auf und schaltet den Computer ein. Martin hat geschrieben.
    Liebe Alice
    Wie geht es Dir heute? Hat sich der Mann vom Radio gemeldet? Ich habe mir aus Neugier im Internet alte Wunschkonzerte angehört. Wie schön, Deine Stimme zu hören! Ich versuche mir vorzustellen, wie Du am Küchentisch sitzt, zeichnest und lauschst, aber es gelingt mir nicht. Du und still sitzen. Ich sehe Dich tanzen. Das Studio wischen mit energischen Schritten. Nicht einmal schlendernd habe ich Dich in Erinnerung. Und nun sollst Du in meinem Kopf tun, was nur Alte tun: Wunschkonzert hören und der Welt übers Radio mitteilen, dass es einen noch gibt. Sind wir so alt, Alice?
    Ich fühle mich uralt. Die Hitze schafft mich. Nachmittags hänge ich mit Pong auf der Teakbank hinter der Theke und lasse mich vom Ventilator anblasen. Gestern wirbelte er Erinnerungen an Salsanächte auf. Kleider klebten an Rücken, Füße rutschten in Schuhen, Gesichter glühten. Ich wollte Pong davon erzählen, ließ es aber bleiben. Er verstünde nicht. Nicht nur, weil ich mäßig Thai und er mäßig Englisch spricht, sondern weil hier Latinmusic nicht populär ist. Menschen mit lateinischem Temperament gelten als ungehobelt. Kürzlich hat mir eine Kundin gesagt, Italiener seien unzivilisiert, hätten keine Kultur. Weißt Du, weshalb? Weil sie gestikulieren beim Reden und laut sind. Thais sprechen sogar leise, wenn sie im Restaurant nach der Bedienung rufen.
    Mein altes Leben ist weg. Ich kann es nicht mitteilen. Pong und seine Familie können sich ein Leben in Europa nicht vorstellen. Pongs Welt hat den Radius seines Ladens, erweitert durch die Wohnzimmer seiner Familie, durch ausländische Filme und thailändische Fernsehserien. Darin kommt die Schweiz in zwei Einstellungen vor: Matterhorn und Kirche von Meggen (die ich zuvor noch nie gesehen habe). Am Anfang unserer Beziehung habe ich den Leuten Fotos meiner Wohnung gezeigt, von unserem Tanzstudio, von Auftritten. Sie schlossen daraus, ich sei reich. Sie sahen in meiner Einrichtung die Ausstattung einer amerikanischen tv-Soap. Weil mir das unangenehm ist, zeige ich die Bilder nicht mehr.
    Pong hat Angst vor einer Reise in die Schweiz. Die Kälte, das Essen, das Geld, die Sprache. Ihm bekomme Brot nicht, sagt er (die Thais meinen, wir essen hauptsächlich Brot). Inzwischen glaube auch ich, dass er sich in Europa nicht wohl fühlen würde.
    Auf einmal macht es mir etwas aus, weit weg zu sein von meiner Vergangenheit. Ich werde hier, umgeben von Reissäcken, Kokosmilchbüchsen und Curryduft sterben. Wenn ich Glück habe, auf der Teakbank hinter der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher