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Nimmerzwerg

Nimmerzwerg

Titel: Nimmerzwerg
Autoren: Christian von Aster
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herum war…
    Bragk Nattergriff, der zwergische Meisterdieb, hatte vor einer Weile eine kleine metallene Sanduhr hervorgezogen, die er nun, da der Sand durchgelaufen war, ein weiteres Mal umdrehte.
    „Eine ganze Schicht. Eine ganze Schicht treiben wir nun schon in dieser grässlichen Glut. Ich könnte Kiesel kotzen!“, sagte Nattergriff an den Hohepriester gewandt, der nachdenklich in die Finsternis der Höhle starrte. Der Meisterdieb verlagerte das Gewicht. „Mein Hinterteil brennt wie Feuer, und meine Stiefel sind beinahe durchgeglüht. Also, was soll das sein, Priester? Wieder mal Bestimmung?“
    Der Hohepriester antwortete lange Zeit nicht.
    „Sie muss verdammt groß sein, diese Höhle, wenn wir nach all der Zeit immer noch nirgendwo angekommen sind“, hallte seine Stimme schließlich durch das glutschwangere Dunkel.
    „Vielleicht liegt es auch an der Strömung“, gab Farrnwart Blechboldt zu bedenken, der neben Fazzgadt Eisenbart am Ruder stand, und deutete auf die wirbelnden, glühenden Magmaschlieren um sie herum.
    „Seien wir ehrlich“, meldete sich Garstholm Flammrank, der blinde General, zu Wort, der neben den beiden gefesselten Kiesköpfen am goldenen Altar saß, „wer immer dieses Floß für diesen See entworfen haben mag, war selbst nie hier. Wir sind seine Versuchskäfer, und wenn ihr mich fragt, so habe ich meine Zweifel, ob wir das Ganze überleben werden. Ich glaube, es war ein Fehler, überhaupt loszufahren.“ Er senkte den Kopf, sodass die Falten seiner roten Augenbinde unheimliche Schatten auf sein Gesicht warfen.
    „Und was wäre die Alternative gewesen?“, ließ sich Blechboldt vom Ruder her vernehmen. „Uns ein Leben lang vor den Anhängern des Zwielichts verstecken? Uns andere Namen zulegen und die Bärte färben, um inmitten einer neuen Ordnung zu leben, deren Anhänger uns nach dem Leben trachten?“
    „Wenn ich mir aussuchen könnte, ob ich bei lebendigem Leib gekocht werden oder mich lieber verstecken will, dann fällt mir die Wahl nicht schwer, Ferkelbändiger“, entgegnete Flammrank leise.
    Der Hohepriester schüttelte müde den Kopf.
    „Aber das kann nicht sein, Flammrank. Die Gottzwerge sind auf unserer Seite! Es muss Bestimmung sein…“
    Flammrank lächelte, sodass sich das rote Tuch über seinen Augen spannte.
    „Ich fürchte, Weißbart, deine Gottzwerge waren auch noch nie hier unten…“
    Die Zwerge ließen schweigend die Blicke schweifen. Womöglich hatte Flammrank recht. Um sie herum war nichts als brodelndes, zähes Magma, flüssiges Feuer, das gierig an ihrem Floß emporleckte und sie, wie es schien, nur allzu gern verschlungen hätte.
    Kein Ufer, kein Steinstrand.
    Vereinzelt ragten Säulen aus dem glühenden See auf, die irgendwo, hoch über ihnen, eine im Dunkel verborgene Decke stützten. Die Zwerge waren an zahllosen dieser Säulen vorbeigetrieben, zeitweise durch niedrige Passagen, in denen sie die Köpfe hatten einziehen müssen. Nur um kurz darauf in noch weiträumigere Bereiche der Höhle zu gelangen.
    Kein Zwerg kannte diesen See. Es gab weder Karten, noch wurde er in Geschichten erwähnt. An diesem Ort war noch niemand jemals gewesen. Denn niemand, der nicht in die kryptische Kammer eingedrungen war, das Undenkbare vollbracht und das gesamte Eherne Volk gegen sich aufgebracht hatte, hätte einen Grund gehabt, hier zu sein. Der Magmasee, auf dem sie all ihren Bemühungen zum Trotz ziellos dahintrieben, lag im Abgrund des Vergessens. Irgendwo hoch über ihnen befand sich die Brücke der Verbannung, über die verstoßene Zwerge den Abgrund überquerten, um in die Gefilde der Entzwergten zu gelangen und den Rest ihres Daseins abseits des Ehernen Imperiums zu fristen. Die Brücke der Verbannung war ein Konstrukt der Strafe und der Ächtung, drei Gang lang, ein tränenschwangeres Geflecht aus Stahl, Seilen und Schmach. Jeder Schritt darauf war Schmerz im Gemüt jener Zwerge, die nicht länger Zwerge sein durften.
    Auf der einen Seite lag das Imperium, auf der anderen die Welt der Entzwergten, deren Bewohner einander Gerüchten zufolge gegenseitig auffraßen, die Bärte ihrer Toten rauchten und weder Gesetz noch Vernunft kannten.
    Über den Abgrund des Vergessens hinweg verband jene Brücke zwei vollkommen unterschiedliche Welten. Und am Fuße des Abgrunds lagen jene von flüssigem Gestein durchspülten Höhlen, die noch nie ein Zwerg erkundet hatte.
    Der Schicksalszwerg hatte sein Floß am steinernen Ufer des Ehernen Imperiums in das Magma geschoben,
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