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Nimm Platz und stirb

Nimm Platz und stirb

Titel: Nimm Platz und stirb
Autoren: Hans Gruhl
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mich durch einen Spalt zwischen zwei Holzwänden in
das Innere der Dekoration quetschen wollte, stieß ich mit dem Herrn Produzenten
zusammen. Kirschbaum. Ein Gedanke kam mir wie ein Lichtstrahl.
    »Herr Nachbar, auf ein Wort«, sagte
ich.
    Er fuhr zusammen und hob seine Hände.
    »Du hast dein Geld bekommen!«
    »Wie lange ist das schon her!« seufzte
ich. »Nathan, kommt es vor, daß nachts die Hallen kontrolliert werden?«
    Sein Mißtrauen war noch nicht weg.
    »Wer kontrolliert? — Was soll das?«
    »Ich habe heute nacht gearbeitet,
Nathan, schwer gearbeitet zum Ruhme deines Hauses, da schlich einer im Dunkeln
herum, der so genau Bescheid wußte wie die Stadtbaukommission.«
    »Warum hast du nicht gerufen?«
    »Ich dachte du wärst es und wollte dich
nicht erschrecken.«
    Er war nicht in der Stimmung für dumme
Witze.
    »Was hältst du mich auf mit dem
Blödsinn, paß auf dein Buch auf und nicht auf meine Hallen!«
    Er wandte sich ab und ruderte davon.
Ich ging langsam weiter.
    Reinold trug die zerknitterten
Cordhosen mit dem fallsüchtigen Hosenboden, ein grob gewebtes Hemd und brüchige
Sandalen. Er machte die Szene vor, als wäre sie schon im Kino gelaufen, und er
brauchte sie nur zu erzählen. Es war eine Einstellung mit Paul Carolys, Gabys
Filmvater. Er war ein netter Kerl. Es gab niemanden weit und breit, den er noch
nicht angepumpt hatte, und wenn er bei einer Flasche Wodka seine Erlebnisse aus
der Trinkerheilstätte erzählte, mußte man Milz und Leber festhalten.
    Viel hatte er jetzt nicht zu tun. Er
sollte Briefe finden, die sein sittsames Töchterchen an seinen Verführer
geschrieben hatte. Zuerst mußte er die Schubladen von Gabys
Jungmädchenschreibtisch durchwühlen, wie ein ungetreuer Buchhalter die
Ladenkasse. Die Briefe gerieten in seine Hand. Er liest. Seine Augen mußten
groß werden wie Parkverbotsschilder, und sein Gesicht mußte den Ausdruck eines
Muttermörders kurz vor der Tat bekommen. Dann sollte er gebrochen auf einen
Stuhl sinken, das Antlitz in den Händen verbergen und ächzen: »Mein Kind!
Dieser — dieser Verbrecher! Mein Kind!«
    Sie probierten es zweimal. Der
verratene Vater gab sich alle Mühe. Man hörte förmlich, wie sein Innerstes
zerbrach.
    »Wir drehen«, sagte Reinold.
    Ich sah mich um, bevor sie die Lichter
löschten. Ich stand mit dem Jühl in der rechten hinteren Ecke, neben der Tür,
durch die wir gekommen waren. Reinolds Regiestuhl stand an der
gegenüberliegenden Wand, durch die ganze Breite des Raumes von uns getrennt.
Reinold setzte sich. Neben ihm an der Wand lehnte Serkoff mit verschränkten
Armen. Seine Augen unter dem Hut glühten. Er sah aus, als stände er auf einer
Kremlsitzung hinter Stalins Stuhl und wartete auf den Wink zur Erschießung der
anderen Teilnehmer.
    In seinem Klappstuhl an der linken Wand
hockte Kirschbaum. Seine Augen wunderten unaufhörlich, ab und zu zuckte er
zusammen. Dann hatte er an irgendwelche Kosten gedacht.
    Alle überflüssigen Lichter erloschen.
Nur wenige Lichtkegel waren auf den Schreibtisch gerichtet. Die Wände des
Raumes lagen im Dunkeln. Reinold war kaum zu erkennen auf seinem Stuhl. Die
anderen standen wie Schatten. Ich konnte keine Gesichter erkennen, nur weiße
Flecken. Es wurde ganz still. Der Kameraschwenker preßte die Augen gegen den
Gummikranz des Okulars. Der Mann mit der Klappe kam.
    »Ton ab«. Das war Reinold.
    »Ton ab«, wiederholte der Mann mit dem
Mikrophon. Die Geisterstimme des Toningenieurs zitterte durch den Raum.
    »Läuft.«
    Der Klappenmann hielt seine Tafel vor
die Linse.
    »Zwohundertsiebzig, die erste!«
    Klapp. Die Holzleisten.
    Die Kamera lief.
    Paul machte seine Sache gut. Er war
Chargenspieler an einem kleinen Theater. Er konnte so was besser als mancher
andere. Und das Geld würde ihm guttun.
    Reinold saß ganz still. Er schien
zufrieden, Serkoff neben ihm stand unbeweglich wie eine schwarze Marmorfigur an
der Wand. Die Szene lief aus.
    »Stopp.« Reinolds Stimme.
    »Sehr gut, Paul! Sehr schön. Man wird
dir den Zorn glauben, obwohl du selber hinter Mädchen her bist wie ein Pavian!
Noch mal, bitte!«
    Reinold stand jetzt auf, er wandte
keinen Blick zu Serkoff. Er ging an der Kamera vorbei auf die andere Seite des
Schreibtisches. Die Leute machten ihm Platz. Er wollte sich die Sache von der
anderen Seite ansehen. Reinold war jetzt in unserer Nähe.
    »Noch mal, fertig?«
    Wieder ging es los.
    »Zwohundertsiebzig, die zweite.«
    Klapp.
    Paul begann mit zitternden Fingern im
Schreibtisch zu
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