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Nilowsky

Nilowsky

Titel: Nilowsky
Autoren: Torsten Schulz
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Baracke, immer wieder ist er da. Aber drin ist er nie. Nie, der Feigling. Schleicht bloß immer rum, aber drin nie, immer nur rum um die Baracke. Die dreckige Sau.« Nilowsky hatte sich in Rage geredet. »Was hat er gesagt? Oder wollte er was von dir wissen, einfach nur irgendwas von dir wissen?«
    »Er dachte, ich suche jemanden.«
    Nilowsky lachte. »Was ich selber denk und tu, trau ich jedem andern zu. Kennst du nicht das Sprichwort?«
    »Ja«, sagte ich. »Kenne ich.« Und Nilowsky: »Na also.« Er kam näher an mich heran. »Bist du nicht neugierig? Wenn ich dir so ’n Sprichwort sage und nichts weiter dazu?«
    »Doch«, antwortete ich. Und Nilowsky darauf: »Komm mit!«
    Ich folgte ihm an der Böschung entlang und versuchte, sein Hinken zu ignorieren. Aber je schneller er ging, desto stärker hinkte er, und umso weniger gelang es mir, nicht darauf zu achten.
    »Ich werd’ dir was verraten«, sagte er. »Ich werd’ dir verraten, warum er immer an der Baracke herumschleicht. Kommst du nämlich nicht drauf, warum er da immer an der Baracke. Ohne reinzugehen, immer nur drum herum.« Nilowsky lachte schadenfroh und wiederholte abermals: »Immer nur drum herum, die Niete,die hässliche versoffene Niete.« Er kicherte hämisch. »Du glaubst es nicht, du glaubst es einfach nicht. Aber ich verrat es dir. Du warst, bei der Baracke warst du, und deshalb verrat ich es dir. Er ist nämlich, die dreckige Mistsau ist scharf, scharf wie Nachbars Lumpi. Kennst du nicht das Sprichwort? Auf Neger-Wally, die hat’s ihm angetan, auf die ist er scharf.«
    Er blieb stehen und sah mich kurz an, prüfend, erwartungsvoll, ehe er weiterhinkte und ich ihm wieder folgte.
    »Und Neger-Wally«, fragte ich, wobei mir die Frage mehr wie eine Feststellung vorkam, »die wohnt in der Baracke?«
    »Nein«, antwortete Nilowsky. Es klang amüsiert: Wie könne ich nur auf so was kommen. »Neger-Wally, die wohnt auf der anderen Seite vom Chemiewerk, da wohnt Wally, auf der anderen Seite. Aber zu Besuch, sie ist oft zu Besuch in der Baracke. Bei den Afrikanern ist sie oft. In der Baracke, da kochen sie, und saufen tun sie und tanzen, und das ist noch nicht alles, was sie da machen in der Baracke, Wally und die Negermänner, und ein paar andere Frauen sind auch dabei. Mein Alter, der ist scharf auf Wally, aber er traut sich nicht rein in die Baracke. Und wenn er besoffen ist und die Kneipe zu und er glaubt, dass er allein ist, verflucht er sie. ›Geile Fotze‹, sagt er, ›du blöde geile Fotze‹, und reibt seinen Schwanz, die geile Sau. Bis es ihm kommt, reibt er seinen Schwanz. Und ich klau ihm die Groschen aus der Kasse, wenn er seinen Schwanz reibt und Wally ›Geile Fotze‹ nennt, und er kriegt das gar nicht mit, so geil ist er, die dreckige Mistsau.«
    Nilowsky blieb wieder stehen und holte aus seinerHosentasche eine Handvoll Groschen hervor. »Da, guck sie dir an die Groschen, alles meine jetzt. Aber du verrätst mich nicht, ist das klar!«
    Er schaute mir in die Augen, bittend, drohend, ich hätte nicht sagen können, was von beidem überwog.
    »Ist klar«, versicherte ich, wie jemand, der mit fester Stimme einem Befehl zustimmt.
    Nilowsky nickte zufrieden, dankbar, wie mir schien. Dann sagte er, fast schroff: »So, muss jetzt allein sein. Hab zu tun.«
    Wieder dieses abrupt Abschließende. Aber es irritierte mich nicht mehr. Es kam mir, seltsamerweise, fast schon vertraut vor.
    »Klar«, sagte ich. »Bis bald, tschüss«, und ging, verwundert darüber, dass ich »Bis bald« gesagt hatte, davon. Ich wusste nicht, ob ich ihn denn tatsächlich bald wiederzusehen wünschte oder ob ich ihm nur Sympathie zeigen wollte, weil ich gesehen hatte, wie er verprügelt worden war und weil ich eigentlich Angst vor ihm hatte.

4
    Es freute mich, dass ich mich meinen Eltern zum ersten Mal in meinem Leben überlegen fühlen konnte: Ich sah die faulen, undisziplinierten Afrikaner als meine Verbündeten an und diese Frau namens Neger-Wally gewissermaßen als eine Verbündete meiner Verbündeten. Meine Neugier, sie und die Afrikaner, wenigstens einige von ihnen, kennenzulernen, wuchs von Tag zu Tag. Allerdings wollte ich nicht wieder die Baracke beobachten und dabei von Nilowskys Vater überrascht werden. Am liebsten wäre ich einfach hineingegangen. Tür auf, hallo und rein. Doch das wagte ich nicht. Stattdessen hatte ich eine Idee, die zwar nicht besonders elegant war, aber auf Eleganz kam es mir auch nicht an. Ich ließ meinen Wohnungsschlüssel in
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