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Nightside 9 - Wieder einmal Weltenbrand

Nightside 9 - Wieder einmal Weltenbrand

Titel: Nightside 9 - Wieder einmal Weltenbrand
Autoren: Simon R. Green
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Pistole war ebenso in meinem Kopf wie meine eigenen Gedanken. Eine bösartige, heimtückische Präsenz, die mich mit ihrer uralten Macht schier überwältigte. Sie brandete gegen meine geistigen Schilde und versuchte, einen Weg hineinzufinden, um die Kontrolle an sich zu reißen. Ich sollte sie benutzen, sie verlangte danach. Denn trotz ihrer Macht konnte sie sich nicht selbst abfeuern. Sie lebte, um zu töten, aber dazu brauchte sie mich, und so brüllte ihre Stimme in meinem Kopf, ich solle den Abzug betätigen und jemanden umbringen. Irgendjemanden. Es war ihr gleichgültig. Das war es immer schon gewesen. Sie gierte einfach danach, die Worte zu sprechen, die jemanden aus der Schöpfung tilgten. Das rohe, tiefrote Fleisch der Pistole lag schwer in meiner Hand, lastete schwer auf meiner Seele und zog mich nach unten. Doch langsam und entschlossen warf ich ihr meinen Willen entgegen und siegte. Denn so abscheulich sie auch war, ich hatte weit Schlimmeres gesehen.
    Irgendwie gelang es mir, mir diesen Konflikt nicht anmerken zu lassen, als ich schließlich mit der sprechenden Pistole auf den Wanderer zielte. Meine Hand war vollkommen ruhig. Er sah zuerst die Pistole, dann mich an, und zum ersten Mal war Unsicherheit in seiner Stimme.
    „So, so“, sagte er. Er versuchte, möglichst lässig zu klingen, doch es war nicht völlig überzeugend. „Schau sich einer das an. Die sprechende Pistole; fast so berüchtigt wie du, John. Ich hätte wissen müssen, dass sie hier auftauchen würde. Ich dachte, ich hätte sie vor fünf Jahren in Istanbul zerstört, als die stille Bruderschaft ihre endlose Fehde gegen die Familie Drood ausfocht … aber sie kehrt immer wieder zurück. Würdest du wirklich so ein abscheuliches Ding benutzen, John? Würdest du so etwas Böses einsetzen, um einen guten Mann davon abzuhalten, sein Werk zu tun? Diese Pistole zu verwenden, würde deine Seele auf ewig verdammen.“
    „Ja“, sagte ich. „Das würde es.“
    Ich senkte langsam die sprechende Pistole, auch wenn sie in meiner Hand zischte und sich wand. Denn das war der wahre Preis, den ich nach dem Willen des Eigentümers des Waffenladens zahlen sollte – meine eigene Seele zu verdammen, und das würde ich nicht einmal tun, um meine Freunde zu retten. Wenn auch nur, weil ich wusste, dass sie das niemals von mir gewollt hätten.
    „Was tun Sie da?“, fragte Chandra Singh. „Nach allem, was wir erlitten haben, um dieses Ding zu bekommen, weigern Sie sich, es zu benutzen?“
    „Ja“, sagte ich.
    „Dann geben Sie sie her! Ich habe keine Angst, sie einzusetzen!“
    „Chandra …“
    „Ich muss etwas tun! Er hat mein Schwert zerbrochen!“
    Damit stürzte er sich auf die sprechende Pistole und rang sie mir aus der Hand. Er zielte auf den Wanderer, doch seine Hand zitterte bereits und seine Augen waren geweitet, als er die schreckliche Stimme der Pistole in seinem Kopf vernahm, diese furchtbare Versuchung – die Pistole zu benutzen, immer wieder, aus schierer Freude am Morden. Julien wollte nach Chandra greifen, da er die Bestürzung in dessen Miene bemerkte, aber ich hielt ihn mit einer schroffen Geste auf. Das war Chandras Kampf, den er allein ausfechten musste. Um seine Seele zu retten. Sonst würde er sich immer fragen, was er wohl getan hätte.
    Ich glaubte an ihn.
    Dann senkte er die Sprechende Pistole Zentimeter um Zentimeter, bekämpfte sie mit jedem einzelnen Atemzug und weigerte sich, sich versuchen oder beherrschen zu lassen. Denn im Grunde war er ein guter Mensch.
    Der Wanderer wartete, bis die sprechende Pistole auf den Boden zeigte, dann streckte er einen Arm aus und löste die Waffe sanft aus Chandras Fingern. Der indische Monsterjäger schwankte und stürzte fast, doch Julien und ich waren da, um ihn zu stützen. Er war eindeutig tief erschüttert, und kalter Schweiß strömte über sein graues Gesicht. Der Wanderer wog die sprechende Pistole in seiner Hand und drehte sie hin und her, als hätte er noch nie etwas derart Hässliches gesehen. Falls er Stimmen hörte, verbarg er es gut, und nachdem er die sprechende Pistole eingehend begutachtet und an ihr kein einziges Fünkchen des Guten entdeckt hatte, zerquetschte er sie mit bloßer Hand.
    Knochen und Knorpel bekamen Risse und splitterten, das rote Fleisch wurde zu ekelhaftem Matsch, und die Waffe kreischte in unseren Köpfen in Agonie auf, als sie starb. Der Wanderer öffnete langsam die Hand, und die bereits verwesenden Fetzen der sprechenden Pistole fielen aus seiner
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