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Nightside 10 - Für eine Handvoll Pfund: Geschichten aus der Nightside Band 10 (German Edition)

Nightside 10 - Für eine Handvoll Pfund: Geschichten aus der Nightside Band 10 (German Edition)

Titel: Nightside 10 - Für eine Handvoll Pfund: Geschichten aus der Nightside Band 10 (German Edition)
Autoren: Simon R. Green , Oliver Graute
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was ich zu brauchen glaubte. Er hielt vor mir an, verneigte sich höflich und verschränkte seine fahlen, langfingrigen Hände vor seiner eingefallenen Brust.
    „So, so“, sagte er mit einer heiteren, rauchigen Stimme, die vor künstlicher Gutmütigkeit und gespielter Aufrichtigkeit förmlich übersprudelte. „Sie sind zurück, Mister Taylor? Wie schön. Wir freuen uns immer, einen unserer verlorenen Söhne wieder willkommen heißen zu dürfen. Was kann ich Ihnen bringen? Das Übliche?“
    „Nein“, sagte ich. „Ich bin nicht deswegen hier. Ich bin hier, um jemanden zu treffen.“
    Sein dunkelrotes Lachen wurde ein klein bisschen breiter. „Das sagen sie alle. Nur keine Scheu, Mister Taylor, Sie sind hier unter Freunden. Im Drachenschlund gibt es nichts, wofür man sich schämen müsste. Verwöhnen Sie sich! Dazu sind wir hier.“
    „Deswegen bin ich nicht hier“, blieb ich hart. „Sondern aus beruflichen Gründen. Treten Sie bitte zur Seite.“
    Er rührte sich nicht. Seine niemals blinzelnden Augen waren auf mich fixiert, und sein starrer Blick war voller unheilvoller Energie. „Niemand verlässt je den Drachenschlund, Mister Taylor. Nicht wirklich. Sie gehen für eine Weile frische Luft schnappen, dann kommen sie wieder. Wer sonst kennt Sie so gut wie wir, wer sonst kann Sie mit dem versorgen, was Sie brauchen? Sie gehören hierher, Mister Taylor, das wissen Sie. Kommen Sie. Ich bringe Sie zu Ihrer alten Nische. Lassen Sie mich die Nadel für Sie vorbereiten und eine Vene suchen. Sie haben uns nie wirklich verlassen. Die Welt dort draußen war nur ein böser Traum. Sie waren immer hier, wo Ihr Platz ist.“
    Ich lachte ihm mitten ins Gesicht, und er wich tatsächlich einen Schritt zurück.
    „Träumen Sie weiter“, sagte ich. „Ich bin um einiges mehr als früher.“
    Der Wirt sammelte sich beinahe augenblicklich. „Sind Sie sicher, dass ich Ihnen keine kleine Kostprobe anbieten kann, Mister Taylor? Auf Kosten des Hauses natürlich.“
    „Führen Sie mich nicht in Versuchung“, sagte ich.
    Respektvoll trat der Wirt einen Schritt zur Seite und neigte den Kopf. Er gestand seine Niederlage ein. Zunächst.
    „Man sieht sich, Mr. Taylor.“
    „Nicht, wenn ich Sie zuerst sehe“, sagte ich, während er sich höflich zurückzog und mir den Rücken zuwandte.
    Ich sah mich um, und zahlreiche charakteristische Details kamen zwischen den langsam wabernden Rauchschwaden zum Vorschein. Dieser Ort hatte sich nicht verändert, seit ich das letzte Mal hier gewesen war. Um mich vor einer Welt zu verbergen, die mich gebrochen und vernichtet hatte – in so ziemlich jeder Hinsicht. Ich hatte alle Hoffnungen weggeworfen, denn sie schmerzten zu sehr. Das bloße Gewicht meines Lebens war zu schwer für mich geworden, und ich hatte meine Reflektion in den Augen meiner Freunde nicht mehr ertragen können. Ich hatte versagt – in allen bedeutenden und wenigen bedeutungslosen Dingen. So kam ich in den Drachenschlundund sehnte mich nur nach Erlösung von dem Schmerz, nach Vergessen und nach dem Einzigen, was Drogen zu bieten hatten, das besser war als Genuss: den kalten, stillen Trost, überhaupt nichts mehr zu fühlen.
    Es gab Seidenvorhänge und bestickte Paravents, um denjenigen, die sich noch um solche Dinge scherten, Privatsphäre zu gewährleisten. Tische, Stühle und Feldbetten waren in kleinen Grüppchen im Raum verteilt. Kühle Felsenhöhlen und Zellen waren tief in die dunklen Steinwände eingelassen. Blut, Urin und Erbrochenes auf dem Boden. Ich war umgeben von Männern, Frauen und anderen Dingen, alle gleichermaßen verloren in Träumen und verpassten Gelegenheiten. Sie starben Stück für Stück ... doch ich konnte in meinem Inneren keine Gefühle für sie finden. Niemand kam von ungefähr in den Drachenschlund. Jeder wusste, was hier geschah. Man musste es wollen, musste es wählen, genauso, wie man die Pistole oder den Strick oder die Rasiermesserklinge wählte – und ich hatte es damals so sehr gewollt.
    Heftig schüttelte ich den Kopf. Ich war sonst keiner, der in der Vergangenheit schwelgte und alte Fehler bereute. Die stinkenden Rauchschwaden, die sich in der stehenden Luft kräuselten, erreichten mich. Ich ging voran und bahnte mir vorsichtig einen Weg zwischen den brechend vollen Tischen und Stühlen hindurch. Dabei versuchte ich, zwischen den gelegentlich auftauchenden trüben Konturen den Elfen zu finden. Ein paar Leute drehten sich um, als ich an ihnen vorbeiging. Entweder kannten sie mich, oder
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