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Nicht von schlechten Eltern - Meine Hartz-IV-Familie (German Edition)

Nicht von schlechten Eltern - Meine Hartz-IV-Familie (German Edition)

Titel: Nicht von schlechten Eltern - Meine Hartz-IV-Familie (German Edition)
Autoren: Undine Zimmer
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Sie haben den Mut gehabt, mir Vorbilder zu geben, die ziemlich weit entfernt waren von unserer Lebensrealität. Sie heißen Martin Luther King, Judith Butler, Nelson Mandela, Louis Armstrong, George Tabori, Barbara Streisand, Doris Lessing – eine ziemlich krause Mischung. Und doch haben alle eins gemeinsam, was auch meine Eltern mit meinen Helden teilen: Sie sind alle dafür bekannt, dass sie nach ihrem eigenen Verstand gehandelt haben und nicht entsprechend der gesellschaftlichen Konventionen. Und dafür werde ich sie immer verteidigen.

KAPITEL EINUNDZWANZIG
    Zwischen den Welten. Ein Epilog
    In dem ein fast fertiges Buch immer wieder besprochen wird, mein Vater sich ein letztes Mal aufregt und einige wichtige Fragen, die nichts an Aktualität eingebüßt haben, immer noch auf ihre Antwort warten.
    Zerrüttete Persönlichkeiten laborieren in einer kaputten Welt.
    Das ist die Situation.
    Hangelnd.
    Sagen Sie es aus!
    Erbrechen Sie sich!
    Hubert Fichte, Ketzerische Bemerkungen zu einer Wissenschaft über den Menschen
    Ich blättere zusammen mit meiner Mutter durch die Seiten meines fast fertigen Buches. Über manche Zeilen, die in diesem Text stehen, haben wir uns gestritten und dann wieder versöhnt. Was und wie hier etwas aus unserem Leben beschrieben wird, ist aus meiner Sicht formuliert. Aber kritische Stellen über meine Eltern, die sie als ungerechtfertigt empfinden könnten, habe ich mit ihnen besprochen, zuweilen auch einen Änderungsvorschlag von ihnen akzeptiert – zumal ich nicht Gefahr laufen wollte, Vorurteile zu wiederholen, auf die meine Eltern in ihrem Leben schon zur Genüge gestoßen sind. An manchen Stellen fiel es mir leicht, auf sie zu hören. An anderen brauchte ich eine Weile, um zu verstehen, dass auch ich ihnen manchmal allzu wohlfeile »Ratschläge« gegeben habe, die ihr Ziel verfehlen mussten. Meine vergeblichen Bemühungen zum Beispiel, meine Mutter immer wieder zu einem Volkshochschulkurs zu überreden, gehören dazu. Auch Gutgemeintes kann bevormundend sein. Ein Dialog, der auf einem wirklichen wechselseitigen Verständnis aufbaut, entsteht erst dann, wenn ich die Lebenswelt meines Gegenübers akzeptiere und aufhöre, ihn wie ein Mündel zu behandeln. Das galt schon für Ethnologen und Entdecker bei ihren Begegnungen mit den Fremden auf anderen Kontinenten, das gilt auch für das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern wie auch zwischen Vertretern der Gesellschaft und einzelnen Individuen.
    In meinem Buch sollten auch meine Eltern erzählen dürfen, ohne Angst, missverstanden zu werden. Mein Buch ist schließlich auch ihr Buch. Ohne ihren Mut, ihre Offenheit und ihr Vertrauen wäre es mir nicht möglich gewesen, unsere gemeinsame Geschichte aufzuschreiben. Manchmal hat es wehgetan, an alte Wunden zu rühren. Anders als in bestimmten Phasen meines Heranwachsens würde ich heute meine Eltern nicht einmal für einen Tag gegen andere eintauschen wollen. Wir haben in den letzten Jahren so vieles voneinander gelernt. Ein internes Familien-Happy-End. Nach außen aber sind viele Fragen offen geblieben, auf die ich auch keine Antwort weiß: Ist jemand schuld daran, dass sie nie wirklich Zugang zum Arbeitsmarkt und damit zu einer echten gesellschaftlichen Teilhabe fanden? War es einfach Pech? Was wird jetzt aus mir?
    Ich habe im letzten Jahr Zahlen, Studien und Fakten gesammelt, wissenschaftliche Theorien zur Armut, Ungleichheit, Chancengleichheit in Deutschland studiert und das Buch der Journalistin Julia Friedrichs »Gestatten: Elite. Auf den Spuren der Mächtigen von morgen« gelesen. Darin wird die Unverfrorenheit der sogenannten Elite unmissverständlich deutlich: Mit den vermeintlichen Verlierern der Gesellschaft will sie nichts zu tun haben. Mit Menschen wie uns. Die Elite sind, laut Duden, die Führungsschicht, eine Gruppe Auserwählter mit besonderen Qualitäten, im Sport und Militär die Besten. Sie besetzen gesellschaftliche Spitzen- und Führungspositionen, ein Privileg, das sie ihrer eigenen Meinung nach überdurchschnittlichen Leistungen verdanken. Aber welcher Art sind diese Leistungen? Nach welchen Kriterien werden die ausgewählt, die dazugerechnet werden? Oder ist die Elite der neuzeitliche Adel, in den man nur hineingeboren werden kann? Und gibt es noch einen Unterschied zwischen der Elite, die ihre Stellung durch Macht und Geld befestigt, und der Exzellenz, mit der sich die Universitäten so gern schmücken, obwohl sie die Einrichtungen sind, in denen nach aufklärerischem
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