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Nicht ohne meine Mutter: Mein Vater entführte mich als ich ein Jahr alt war. Die Geschichte meiner Befreiung (German Edition)

Nicht ohne meine Mutter: Mein Vater entführte mich als ich ein Jahr alt war. Die Geschichte meiner Befreiung (German Edition)

Titel: Nicht ohne meine Mutter: Mein Vater entführte mich als ich ein Jahr alt war. Die Geschichte meiner Befreiung (German Edition)
Autoren: Meral Al-Mer
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zu mir kommen wollte, war da immer schon der Junge. Das hat ihn gestört.«
    »Das kann ich verstehen«, sagt zu meiner Überraschung mein Bruder. »Ich wollte das auch nicht. Ich würde kein Kind von einem anderen annehmen. Eher würde ich mich von der Frau trennen.«
    Ich glaube meinen Ohren nicht zu trauen. Und raste vollkommen aus. Wie kann mein Bruder so etwas sagen? Nach allem, was er erlebt hat? Nach all dem Leid, von dem Saliha erzählt hat? Es ist der erste richtige große Streit zwischen meinem Bruder und mir, seit wir uns »wiedergefunden« haben, und das ausgerechnet vor unserer Mutter.
    »Siehst du nicht«, sage ich irgendwann unter Tränen, »dass das seit Generationen in unserer Familie so weitergereicht wird? Dass es bei Fatus weitergeht? Auch sie musste ihre Kinder hergeben. Die Frauen, die geschiedene Männer heiraten, müssen schließlich auch deren Kinder annehmen, wieso dann die Männer nicht?«
    »Ich will keinen Bastard, ich will eine heile Familie, mit einer Frau, die meine Kinder bekommt und in Liebe großzieht …«
    »Dann sollst du verflucht sein! Genau das soll dir geschehen, dass du dich in eine Frau verliebst, die ein Kind hat …«
    »Du bist eine Hexe, und ich lass mich nicht verfluchen …«
    »Von mir aus! Ich will, dass dieser Teufelskreis durchbrochen wird, verstehst du …«
    »Ich kann den Mann verstehen! Ich bin froh, dass ich nach Deutschland kam. Ich bin zufrieden mit meinem Schicksal. Ich will Frieden schließen …«
    »Es gibt aber keinen Frieden, Mourad! Nicht für mich. Ich fühle mich, als wäre ich in einer Bombe eingeschlossen. Wenn es das gäbe, eine Selbstmordattentäterin für die Sache dieser Frauen, dann wäre ich die Erste, die für sie stirbt. Ich würde dafür sterben. So wichtig ist mir das!«
    Und wieder einmal fühle ich mich wie eine Ritterin in einer schimmernden Rüstung – die mich aber zu ersticken droht. Ich bin so wütend und gleichzeitig verzweifelt, dass ich nicht weiß, was ich machen soll. Beate ist es, die versucht, mir zu erklären, dass dies mein Kampf ist, nicht Mourads. Und dass ich meinen Kampf niemandem aufdrängen kann.
    »Und du«, sagt sie zu meinem Bruder, »du glaubst doch nicht etwa an Hexen?«
    »Doch!«, gibt er empört zurück. »Natürlich glaube ich daran, dass meine Schwester mich verfluchen kann.«
    »Aber Meral liebt dich. Sie will, dass du so denkst und fühlst wie sie. Aber das kannst du natürlich nicht.«
    Später schickt uns Beate aufs Dach, damit wir uns dort aussprechen und versöhnen können. Dort nehme ich meinen Fluch zurück. Natürlich will ich nicht, dass mein Bruder unglücklich wird. Doch es ist gut, in aller Ruhe mit ihm über Dinge zu sprechen, über die wir viel zu lange geschwiegen haben. Offenbar gibt es auch zwischen uns beiden Tabus. Und noch am Abend wundere ich mich darüber, dass wir ausgerechnet hier, im Haus unserer Mutter, uns dermaßen gestritten haben, wie wir das in Deutschland niemals mehr tun.
    Saliha klagt über Rückenschmerzen, also frage ich sie, ob ich sie massieren darf. Sofort sagt sie Ja. Und so lerne ich ihren Körper kennen, wenigstens die Rückseite. Wenn ich es nicht wüsste, würde ich nicht glauben, dass sie acht Kinder geboren hat. Sie ist schlank, ihr Körper fest und wohlgeformt, auch ihre Brüste sind die einer jungen Frau. Keine Krampfadern an den Beinen, nur ein paar wenige Besenreiser. Ich frage sie, warum sie damals, als man mir erzählte, sie sei gestorben, ins Krankenhaus musste.
    »Weil ich ständig solches Bauchweh hatte«, sagt sie. »Und dann sagte der Arzt, ich soll einfach noch zwei Kinder bekommen, dann ginge das von selber weg. Also kamen noch Bediha und Abu, und der Arzt behielt recht: Von da an hatte ich keine Bauchschmerzen mehr.«
    »Du meinst«, fragte ich nach, »du hattest Probleme mit den Eierstöcken?«
    »Nein, nein«, gibt sie zur Antwort, »mit den Eierstöcken war nichts. Es war Bauchweh. Mir war oft schlecht.«
    Und ich denke, dass ich jetzt besser nicht mehr nachfrage, auch wenn Magenprobleme sicher nicht durch Schwangerschaften aus dem Weg geräumt werden.
    Aber solche Dinge interessieren mich nun einmal. Auch die Frage, was eine Frau hier im Dorf macht, wenn sie sich mal eine Pilzinfektion einfängt, ohne Apotheke in der Nähe. Als ich meine Mutter danach frage, schaut sie mich an, und ich kann ihre Gedanken lesen. »Da kommt das Mädchen nach dreißig Jahren, und was tut sie? Fragt mich nach Pilzen.« Und doch sind solche Fragen wie Tore, die
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