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Nicht lecker, aber Weltrekord

Nicht lecker, aber Weltrekord

Titel: Nicht lecker, aber Weltrekord
Autoren: Katinka Buddenkotte
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Siegeszug der Eisenbahn verpasst. Weder Schienen führen zu seinem ehemaligen Anwesen, noch hält ein Linienbus vor dessen Tor. Nicht einmaleinen erwähnenswerten Radweg findet man dort. Aber eben nur, wenn man erst einmal dort angekommen ist. Mit dem Auto.
    Das Auto, das mich dort hinbrachte, wurde von Carol gesteuert. Dies ist ihre Geschichte, nicht meine.
    ***
    »Das ist alles nur passiert, weil du falsch gesungen hast!«, kreischt Carol.
    Nun ist es offiziell: Carol hat mehr als eine riesige Macke. Das alles ist bestimmt nicht passiert, weil ich falsch gesungen habe. Vielleicht ist meine Popstar-Karriere nicht passiert, weil ich grundsätzlich falsch singe. Da, wo ich herkomme, muss man, um seine Privatsphäre zu schützen, nämlich schon mehr können, als ein Instrument nicht zu beherrschen. Aber das alles hier , unter uns Erwachsenen, ist wirklich nicht meine Schuld. Schließlich hat Carol angefangen. Mit allem. Immer. Es liegt an ihrer Textunsicherheit, dass wir jetzt vierhundert Meilen von unserem Reiseziel entfernt auf einem staubigen Rastplatz stehen, hilflos und verwundert wie zwei degenerierte Schoßhündchen, die hier soeben von Paris Hilton entsorgt worden sind. Die Junisonne brennt auf mein Haupt, aber die wahre Hitze steigt von innen auf. Es ist die Scham, die dadurch entsteht, dass baumdumme Redneckfamilien aus ihren Pick-ups heraus mit ihren Wurstfingern auf uns zeigen, als wären wir die neue Familienlachnummer im nördlichen Tennessee.
    Okay, wir sind es. Diese kometenhafte Karriere verdankenCarol und ich nicht zuletzt der Dame von der Touristeninformation, die uns durch ihre Bürofensterscheibe zuwinkt. Sie hängt schon wieder am Telefon und grinst. Keine Frage, sie ruft ihre sämtlichen Kollegen im gesamten Bundesstaat an, um unsere Freakshow anzukündigen.
    »Ja, stellt euch vor, noch heute werden zwei Vollidiotinnen in einem schwarzen Cherokee-Jeep bei euch anhalten und nach dem Weg fragen. Oder zumindest innerhalb der nächsten drei Wochen, so wie die fahren, hahaha.«
    Immerhin stehe ich in der Meinung der Gesamtbevölkerung etwas besser da, so wage ich zumindest zu hoffen, und nörgle probehalber los: »Du bist doch die Amerikanerin, Carol, du müsstest das Lied doch besser kennen.«
    Carol schenkt mir einen Blick, den ich von einem Mitglied der US-Streitkräfte nicht mal geborgt bekommen möchte, und zischt: »Ab ins Auto mit dir, Missy!«
    Kleinlaut hüpfe ich auf den Beifahrersitz und halte die Klappe. Was war nur geschehen? Als wir vor acht Stunden losgefahren sind, waren wir noch in bester Abenteuerlaune. Denn wir waren auf dem Weg nach Graceland. Als Proviant hatten wir die riesige Kühlbox, prall gefüllt mit vierundzwanzig güldenen Bierdosen der Marke »Jüngling«, auf den Rücksitz geladen, am Rückspiegel flatterte munter das ausgedruckte Foto unseres Hotels am Elvis-Presley-Boulevard. Sie hatten uns mit einem Swimmingpool in der Form einer Gitarre geködert.
    Seit wir auf den Highway gefahren waren, sangen wirununterbrochen: »I’m going to Graceland, Nashville, Tennessee …«
    Jetzt waren wir in Nashville. Kein Graceland weit und breit. Das liegt in Memphis, wie jeder weiß, und so singt es auch Paul Simon. Der ist Carols neuestes Opfer: »Der Scheißhippie, der kann mich auch mal am Arsch lecken, dem stopfe ich seine Gitarre sonst wohin, verdammte Scheiße, es sind noch vierhundert Meilen bis zum verkackten Memphis. Jetzt klingelt auch noch mein Kacktelefon, Mist, Scheiße! – Oh, hallo Mummie, alles alrighty-righty hier.«
    Carol kann von einer Sekunde auf die andere von Taxidriver auf Ned Flanders umswitchen. Wahrscheinlich lernt man das in der Army. Ich höre fasziniert zu, wie sie in ihr Headset quakt: »Nein, alles ist super hier, Mama, wir haben jede Menge Spaß, ja … ja. Die Deutsche hat sich mit dem Kartenlesen vertan, und jetzt muss ich noch ein paar Stunden fahren … Nein, die kann nicht fahren … Ja, sage ich ihr … Ja, wir haben eine ganz wundervolle Zeit, ja …«
    Ich bin Pazifist. Na ja, sagen wir, ich bin feige und unterversichert, aber im Augenblick hätte ich nicht übel Lust, Carol ihre blöde Freisprechanlage aus den Haaren zu reißen, um Mutter Hastings mal reinen Wein einzuschenken und ihr zu berichten: »Jaaa, hallo, Misses Hastings! Hier ist die dumme Deutsche, die keine Karten lesen kann. Liegt vielleicht daran, dass ihre Tochter gar keine Karte zum Lesen mitgenommen hat, aber Sie kennen sie ja. Heute hat sie wenigstens ein Höschen an. Jaaaa,
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