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Niccolòs Aufstieg

Titel: Niccolòs Aufstieg
Autoren: Dorothy Dunnett
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erkennen, welchen Weg er genommen hatte. Rankenpflanzen und Topfblumen auf Balkonen waren angeknabbert, ein Heiligenschrein an einer Ecke war umgerissen, es stand nur noch eine Vase mit ein paar Stengeln darin.
    Julius wendete sein Pferd. Er hielt auf den Kanal zu und sah den Strauß, noch immer mit Nicholas auf dem Rücken, aus dem Tor der Augustiner herausbrechen. Er lief mit hohem Tempo, trug jetzt aber so etwas wie einen Zügel, der von ferne wie die Kordel einer Soutane aussah.
    Er lief wohl vor allem deshalb so schnell, weil sich inzwischen mehrere Hunde an seine Fersen geheftet hatten. Hin und wieder schlug er aus, und die Hunde wichen zurück. Dann setzte er sich fauchend und schnatternd wieder in Bewegung. Julius, der noch ein Stück entfernt war, konnte erkennen, daß Nicholas sich mit einer Hand festhielt und mit der anderen den provisorischen Zügel schwang, um zu verhindern, daß der Vogel über die Brücke in die Spanjaardstraat lief.
    Es gelang ihm nicht. Der Vogel rannte schon die Straße hin auf, wobei er rechts und links gestapelte Säcke umriß und mit dem Schnabel nach Tor- und Fenstergittern hackte. Zwei Federbetten, die zum Lüften hinausgehängt waren, fielen in einer Wolke von Federn zur Straße hinunter. Nicholas fing eines auf und versuchte mit einer Hand, es zwischen sein Gesäß und die abgesäbelten Federkiele seines Reittiers zu schieben. Julius, dem vor Lachen die Tränen kamen, trabte ihm hinterher. Zum Zollhaus, zur Stadtwaage, zum Markt.
    Ab und zu machte der Vogel halt: an einem Stand mit Beeren; zweimal, als Gruppen entschlossener Männer sich ihm in den Weg stellten oder ihn einkesseln wollten. Die Aufenthalte waren nur kurz. Zwei ausholende Schläge mit den kräftigen Beinen, und alle liefen davon. Vorbei ging es am Kran, am Rathaus, am Belfried. Schreiende Menschen vor sich hertreibend, lief der Vogel über die Brücke zum Steen, Bald würde er die Gärten und Felder zwischen der Genter und der Heiligenkreuzbrücke erreichen, wo er freie Bahn haben würde. Ein Strauß konnte mehr als vierzig Meilen in einer Stunde zurücklegen, hieß es - der sichere Tod für jeden Reiter, den er abwarf. Nicholas schien das nicht zu beunruhigen. Von Zeit zu Zeit bedachte er Julius mit einem ausgelassenen Lachen, und einmal hob er die Hand mit dem Zügel und zeigte schräg nach links. Julius hatte keine Ahnung, was es bedeuten sollte.
    Von hinten näherten sich jetzt weitere Reiter. Sie wollten den Vogel aus Seitenstraßen kommend einkreisen, mit ausgeworfenen Seilen einfangen und fesseln. Nur lag vor ihnen leider offenes Gelände. Julius trieb sein Pferd an, jagte um eine Ecke und verstand endlich, was Nicholas ihm andeuten wollte.
    Nicht weit entfernt war das seichte, trübe Wasser eines der Seitenkanäle, die in den Brügge umschließenden Fluß mündeten. Mit ganzer Kraft drängte Nicholas den Strauß von der Straße die Uferböschung zum Kanal hinunter. Der Vogel galoppierte ins Wasser und bremste ab. Er schwang den Kopf hin und her. Mehrere gründelnde Schwäne zogen erschrocken die Köpfe aus dem aufspritzenden Wasser und zischten den Eindringling zornig an. Der Eindringling zischte zurück. Sie griffen hoch aufgerichtet mit wilden Flügelschlägen an. Der Strauß schlug noch zweimal aus, dann wich er der Überzahl und watete mit zuckenden nackten Flügeln den Kanal hinauf. Gelegentlich tauchte er kurz ins Wasser und wälzte sich ein wenig, ohne jedoch den klatschnassen Nicholas abwerfen zu können.
    Mittlerweile hatte sich ein halbes Dutzend Reiter Julius angeschlossen. Ein Stück weiter vorn strömte der Kanal unter einer Brücke hindurch, um sich mit dem Ringfluß zu vereinigen. Dort vorn stieg auch das Gelände zu einem breiten Damm an, auf dem Windmühlen standen. Die Pferde waren jetzt schneller als der Vogel im Wasser. Julius schickte zwei Reiter voraus, die Brücke zu überqueren und den Vogel von Osten zu bedrohen. An der einzigen Stelle, wo der Strauß aus dem Wasser steigen konnte, einer schrägen Rampe, die zu einer der Windmühlen führte, ließ er die anderen einen Halbkreis bilden.
    Er ließ außer acht, daß Windmühlen zum Kornmahlen da sind und daß der Strauß hungrig war. Zunächst klappte alles prächtig. Von den Reitern am linken Ufer verschreckt, hielt der Vogel auf die Rampe zur Rechten zu. Das Wasser lief in Strömen an seinem Reiter und dem nackten blaßrosa Körper herab, als er aus dem Wasser stieg. Vorsichtig pirschten sich die Reiter näher heran. Der Strauß
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