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Nibelungen 09 - Der Zwergenkrieg

Titel: Nibelungen 09 - Der Zwergenkrieg
Autoren: Alexander (Kai Meyer) Nix
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seit einer Weile erschien ihr der Felsboden immer einladender, als wollte er sie auffordern, für immer liegenzubleiben. Manchmal gehörte viel Kraft dazu, ein so verlockendes Angebot auszuschlagen.
    Irgendwann bemerkte Grimma in einiger Entfernung vor sich ein Licht. Als sie sich ihm näherte, zerfaserte die Lichtquelle, wurde zu einer Vielzahl flackernder Punkte. Darunter wogte etwas, erst ein vager Schemen, dann eine wimmelnde Masse von Körpern.
    Eine Stimme rief etwas, eine Warnung, und mehrere Gestalten lösten sich aus dem lärmenden Verbund, kamen näher, tuschelten, hantierten mit ihren Waffen. Einer schließlich erkannte sie, erinnerte sich an das Gesicht unter den zottigen Haaren, an die Augen, die nur noch vage Ähnlichkeit mit denen der Grimma von einst hatten.
    Eine Weile später – man hatte ihr Wasser und Nahrung gereicht, dazu Decken und frische Kleidung, und irgend jemand hatte ihr Gesicht mit einer kühlenden Salbe bestrichen – kam Thorhâl an ihr Krankenlager.
    Der König vom Hohlen Berg ging vor ihr in die Hocke, hob ihr Kinn, betrachtete sorgenvoll ihre ausgezehrten Züge und erkannte den Schatten des Irrsinns, der in ihren Blicken gedieh. Sehr langsam und traurig fragte er, was geschehen sei.
    Grimmas Stimme war rauh, gar nicht mehr die ihre, und jeder, der zuhörte, hatte Mühe, sie zu verstehen. Sie sprach in kurzen, abgehackten Sätzen, und sie hatte die Befürchtung, daß vieles davon keinen Sinn ergab. Die Erinnerung schmerzte, und Grimma weinte, während sie sprach. Dennoch tat es gut, sich das Grauen und die Pein von der Seele zu reden.
    Schließlich wurden ihre Schilderungen flüssiger, die Silben und Worte verständlicher. Sie spürte, daß Klarheit in ihre Gedanken einkehrte, nicht durch und durch, vielleicht nicht bleibend. Doch endlich war sie weit genug bei Verstand, um sich an das zu erinnern, was Vorrang vor allem anderen hatte.
    Sie mußte Thorhâl warnen.
    Es war in eben jenem Augenblick, als sie auf einen Schlag begriff, daß sie sich nicht im Hohlen Berg befand. Sie war noch immer im Tunnel, und Thorhâl war bei ihr und mit ihm sein ganzes Volk. Und da wußte sie, daß sie zu spät kam. Der Auszug nach Norden hatte längst begonnen.
    Wie lange die Zwerge schon unterwegs seien, fragte sie mit bebender Stimme, und der König unter dem Berg erwiderte, man befände sich gerade im Aufbruch. Dann sei wohl der Hohle Berg ganz in der Nähe, entfuhr es Grimma aufgebracht, und als Thorhâl nickte, da lachte seine Heerführerin, lachte, bis sie kaum noch Luft bekam und der König besorgt nach dem Heiler rief. Grimma aber ließ sich nicht beruhigen. Sie hatte die Heimat tatsächlich erreicht, nach allen Niederlagen der vergangenen Monde, all dem Sterben ohne Sinn, und sie kam einen einzigen Tag zu spät. Einen verfluchten Tag! Die Ironie war so köstlich wie grausam, die Folge jedoch ungleich grausamer. Denn nun, da Thorhâl einmal zum Zug ins Nordland aufgerufen hatte, konnte er seinen Befehl nicht mehr rückgängig machen, ohne vor dem ganzen Volk das Gesicht zu verlieren. Grimma kannte ihn viel zu gut, als daß sie sich der Illusion hingegeben hätte, er würde auch nur in Erwägung ziehen, sich auf derlei einzulassen.
    Oh, gewiß versuchte sie, ihn umzustimmen. Sie schilderte die Öde und den klirrenden Frost des Nordlandes, die Trümmerschluchten der untergegangenen Zwergenstadt; sie warnte vor der Mordlust der Nordlinge, die die Ruinen wie ein Rudel Aasfresser beherrschten; sie bat, sie schrie und sie flehte, Thorhâl möge seinen verhängnisvollen Plan aufgeben, er möge daheim bleiben im Hohlen Berg und sich zufriedenzugeben mit dem, was das Schicksal ihnen zugestanden hatte.
    Doch Thorhâl schüttelte nur betrübt den Kopf, ein geschlagener Mann, gefesselt an die Marionettenschnüre seines Volkes. Im Hinausgehen befahl er dem Heiler, alles in seinen Kräften stehende für die verwirrte Kriegerin zu tun. Dann war er fort, und Grimma sah ihn niemals wieder.
    Die Bemühungen des Heilers schienen für Grimma an einer anderen vorgenommen zu werden, nicht an ihr. Sie verfolgte sie unbeteiligt, wie durch einen Schleier. Dann, als der Mann endlich fort war, zog sie die Tarnkappe über und stahl sich unsichtbar aus dem Schatten der Versorgungskarren, neben denen man ihr Lager errichtet hatte. Mühelos schlich sie an Thorhâls Wachen vorbei zur Rampe. Die steile Schräge wuchs ehrfurchtgebietend vor ihr empor. Auf Grimma wirkte sie wie der Eingang in eine andere Welt.
    Die beiden
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