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Nibelungen 02 - Das Drachenlied

Titel: Nibelungen 02 - Das Drachenlied
Autoren: Alexander (Kai Meyer) Nix
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doch erschlagen hatte, das Geschenk der Unverwundbarkeit gemacht? Die Frage hatte ihr während der ganzen Reise keine Ruhe gelassen. Jetzt aber stand ihr die Antwort so klar und deutlich vor Augen, daß es ihr wie ein Wunder erschien, daß sie sie nicht vorher erkannt hatte: Sogar der Tod des Drachen war nur eine Stufe auf dem Weg. Denn nicht der Lindwurm war es, der die Fäden der Ereignisse zog. Es war der Zauber selbst, die Magie, die im Gefängnis des uralten Drachen geschlummert hatte und nach einem neuen, frischen Körper verlangte.
    Jemand mußte kommen und sie zu neuer Blüte bringen. Es war eine Befruchtung, im einfachsten, natürlichen Sinne. Die Magie war eine Blume, die nach langem Winter zu neuer Pracht gedeihen wollte. Alles, was es brauchte, war die Biene, die den Samen in ihre Herz trug.
    Vielleicht hätte der Geweihte selbst es vollbringen können, mit Sicherheit aber Alberich. Doch Geist war glücklich, daß die Wahl auf sie gefallen war.
    Und nun war sie hier. Im Mittelpunkt dessen, wo alles begonnen hatte und von neuem beginnen würde.
    Um sie herum erstrahlte die Dunkelheit in neuem Leben, Farben schlugen wie Meereswogen empor. Die Magie, so lange im Leib des greisen Drachen gefangen, war erwacht und gedieh mit der Macht des jungen Frühlings.
     

     
    Es begann, als Alberich und Hagen gemeinsam zum Drachen eilten. Wie ein Spinnennetz rasten Risse über die Schuppenhaut, schwarze Blitze, vielfach verästelt.
    Alberich sah, wie der Geweihte mit einem Horn in der Hand zurücktaumelte, bevor er noch die Zeit fand, hineinzustoßen. Der Drachenzahn entglitt seiner Hand und fiel achtlos zu Boden.
    Jene Drachenkrieger, die nicht Löwenzahns Hieben oder Mütterchens Pfeilen zum Opfer gefallen waren, stolperten verwirrt auseinander, die Blicke gebannt auf den Kadaver gerichtet. Löwenzahn erschlug sie der Reihe nach, ohne Gnade und ohne zu begreifen, was vor sich ging. Dann erst folgte er ihren letzten Blicken und erstarrte.
    Mütterchen taumelte aus dem Unterholz des Waldes und ließ Hagens Bogen fallen. Sie zog den schwarzen Köcher vom Rücken und schleuderte ihn beiseite; die letzten Pfeile wurden über die Heide verstreut. Mit offenem Mund kam sie näher, unfähig ihren Blick vom Leichnam des Untiers zu wenden.
    Hagen blieb schlagartig stehen, das verwundete Bein drohte einzuknicken. Sein schwarzer Handschuh spannte sich über den Fingerknöcheln, als seine Faust sich immer fester um den Schwertgriff krallte. Sein einzelnes Auge weitete sich.
    Alberich lief einige Schritte weiter als der Ritter. Er mußte aus der Nähe sehen, was geschah. Ihm war, als sei nicht er ein Teil der Ereignisse, sondern vielmehr das Ereignis ein Teil von ihm selbst. Tief in sich spürte er, wie sich etwas regte, veränderte.
    Die Steinkruste des Drachen zersplitterte.
    »Er erwacht!« schrie Löwenzahn.
    Doch Alberich dachte: Nein, nicht er, nicht der Drache. Etwas anderes stieg aus todesähnlichem Schlaf empor, aber es war nichts Schlechtes, nichts Böses.
    Es ist wie ich, durchfuhr es den Zwerg.
    Um sie herum begann die Heide zu blühen, in Rosa, Weiß und Lila.
    Der Drache zerbarst in einer Eruption aus Staub und Gestein. Eine graue Wolke legte sich über die Klippe, und winzige Teilchen rieselten wie Asche eines Scheiterhaufens vom Himmel herab.
    Und dort, wo eben noch der Drache gelegen hatte, in einem kargen Trümmerfeld wie Lavagestein, kauerte Geist mit angezogenen Knien, fest zusammengerollt und nackt wie ein Neugeborenes. Ihre Haut war rosa, weiß und lila, ein farbenprächtiges Abbild der Heide. Das Moosfräulein regte sich, streckte sich und schaute sich mit zusammengekniffenen Augen um.
    Alberich rappelte sich von der Stelle auf, an die ihn der Druck der Eruption gestoßen hatte. So schnell ihn seine Beine trugen, rannte er auf das Mädchen zu.
    Aus den grauen Wogen der Staubwolke brach eine weitere Gestalt hervor. Der Geweihte hatte das Drachenhorn mit beiden Händen gepackt, hielt es mit der Spitze nach unten über den Kopf. Schreiend schleppte er sich auf das Moosfräulein zu, um es mit dem Horn zu durchbohren.
    Ein schwarzer Wirbel fuhr neben Alberich durch den Dunst, schoß an ihm vorüber auf den Geweihten zu. Stahl schimmerte blaß durch Aschewolken.
    Es gab keinen Endkampf.
    Hagen holte noch im Humpeln aus, traf auf den Geweihten, bevor der seinerseits das Mädchen erreichen konnte. Die Klinge wirbelte in weitem Bogen herum, brach durch die Hornrüstung wie durch morsches Geäst und schlug dem
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