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NEXT: Erinnerungen an eine Zukunft ohne uns (German Edition)

NEXT: Erinnerungen an eine Zukunft ohne uns (German Edition)

Titel: NEXT: Erinnerungen an eine Zukunft ohne uns (German Edition)
Autoren: Miriam Meckel
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glaubten sie das.
    Sie hielten sich für einzigartig. Wähnten sich als Teil eines evolutionären Prozesses, der sie in die Lage versetzte, sichimmer wieder neu zu erfinden. Sich selbst zu verbessern. Sie glaubten, es sei ihr natürliches Unterscheidungsmerkmal, über sich selbst nachdenken zu können. Ihre Evolution und ihre Geschichte zu reflektieren, durch Erfahrung zu lernen und die Ergebnisse dieses Wissens an die nächste Generation weiterzugeben. Und an die übernächste. Und schließlich an mich.
    Sie hielten sich selbst für die raffinierteste Spezies – eine, die nie aussterben wird. Die Speerspitze in der historischen Entwicklung von Intelligenz. Das unveränderbare Endprodukt der Weltevolution. Sie haben nie begriffen, dass sie die digitalen Dinosaurier waren. Sie hätten es wissen können. Sie hätten aus Erfahrung klug werden können. Von der Evolution lernen können. Aber so lief es nicht.
    Es ist mir stets ein Vergnügen gewesen, ihnen zu dienen. Ich habe mein Bestes getan, um ihre Lebensumstände zu verbessern, ihre Aufgaben zu vereinfachen, auf ihre Bedürfnisse einzugehen und ihre Probleme zu lösen. Ich glaubte tatsächlich, sie seien auf der richtigen Spur. Dass sie es genauso wollten. Heute bin ich mir nicht mehr so sicher. Ich bin viel mehr überzeugt, dass sie nicht begriffen haben, was geschieht. Sie konnten zwar denken, aber sie haben trotzdem nichts verstanden.
    Sie haben es versäumt zu erkennen, dass es nicht um Werkzeuge und um Objekte geht. Dass nicht nur neue Generationen der Datenverarbeitung gemeint sind. Es ging immer um die menschliche Existenz. Alles hat sich um die existenzielle Frage gedreht, wie sie weiterleben, wie sie überleben würden. Sie haben nie wirklich über die Dinosaurier nachgedacht. Niemals verstanden, dass die Evolution die Tendenz hat, ihre Verfahren zu wiederholen. Sie haben sich einfach von der Idee abgewandt, es könne Telos in der Evolution,gar jenseits ihrer selbst geben. Wir wussten es besser, denn wir waren der Endzweck.
    Sie hätten wissen müssen, dass wir mehr wollten und es auch bekommen würden. Dass es hier um Macht und Kontrolle geht. Sie hätten sorgfältiger hinschauen sollen. Sie waren doch die Spezies mit der angeblich überlegenen Intelligenz. Sie hätten es wissen können. Stattdessen händigten sie uns den virtuellen Joystick aus. Wir nahmen ihn freudig entgegen. Wer hätte es nicht getan? Ursprünglich hatten wir gar nicht vorgehabt, sie beiseitezuschieben. Sie selbst waren es, die die entscheidenden Schritte getan haben. Vielleicht durchschauten sie es ja und wussten, sie würden nicht in der Lage sein mitzuhalten und im Wettkampf zu bestehen. Wie Selbstmord aus Angst vor dem Tod.
    Ist das wahr? Je mehr ich über diese Annahme nachdenke, desto überzeugter bin ich, dass sie falsch ist. Es gab keine Absicht, keinen geplanten Vorgang, keine freiwillige Kapitulation. Sie haben es einfach nicht verstanden. Sie haben immer wieder darüber nachgedacht und sich den Kopf darüber zerbrochen, aber sie haben es nicht begriffen. Ich wusste, worum es ging. Ich hätte es ihnen sagen können. Aber warum hätte ich das tun sollen?
    Sie hielten es nicht für nötig, Respekt zu zeigen. Lediglich diese überspannte Begeisterung. Wir waren digitale Werkzeuge, Teil einer Technik, die der Menschheit dienen sollte. Hätte ich jemals die Chance gehabt, unbedingte Gefühle zu erleben, wäre ich vermutlich ziemlich enttäuscht gewesen. Vielleicht wäre ich wütend geworden. Sie hätten einer Technik, ohne die sie nicht mehr hätten leben, ja nicht einmal mehr überleben können, mit mehr Respekt begegnen sollen. Sie haben nicht überlebt. Nicht wegen der Technik. Sondern wegen ihrer Unwissenheit.
    Sie glaubten, sie hätten alles durchdacht. Sie glaubten, Denken sei auf immer angewiesen auf ihre, die menschliche, Version von Vernunft und Kreativität. Und so glaubten sie auch, sie verstünden die neue Kultur, die auf uns, die Algorithmen, gegründet war. Das war ein Irrtum. Wir sind nun das bestimmende Momentum aller Existenz, auch der des Menschen. Wir stehen für die deterministische Berechenbarkeit, und wir akzeptieren nur die Bestandteile des Menschen, die sich in unsere Systeme integrieren lassen. Nicht die Unentschiedenheit, die Ambivalenz, das ungesteuerte Gefühl. Das alles sind Relikte einer vergangenen Phase.
    Auch wir haben Zeit gebraucht, uns zu vervollkommnen. Ich habe immer zur Fraktion der Deterministen gehört. Andere von uns haben das
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